Stadt, Land, Kuss
»Sehen Sie, die Einwohner von Talyton haben uns schließlich doch noch akzeptiert.«
Ich weiß, was er damit sagen will. Auch für mich gibt es Hoffnung.
»Wiedersehen, Maz«, sagt Edie. »Komm, Petra, wir bringen dich jetzt in dein neues Zuhause und zeigen dir dein Spielzeug.«
Nachdem sie fort sind, werfe ich einen Blick auf die Warteliste auf dem Bildschirm. Das war mein letzter Termin für heute, und wie üblich bin ich in Verzug geraten.
Emma steckt den Kopf zur Tür herein.
»Izzy und Frances sind schon vorgefahren. Es gehört sich nicht, zu einer Beerdigung zu spät zu kommen. Das gibt nur wieder Gerede.«
»Ich bin schon unterwegs«, antworte ich, wickle mich aus meinem Stethoskop und lege es auf den Tisch. Als ich zur Tür hinauswill, versperrt Emma mir den Weg.
»Hast du dich schon entschieden?«, fragt sie. »Soll ich weiter deine Abschiedsfeier planen?« Sie versucht sich nicht anmerken zu lassen, wie angespannt sie ist, aber ich kenne sie. Es würde ihr viel bedeuten, wenn ich hierbliebe, und ich sollte sie nicht unnötig auf meine Entscheidung warten lassen, vor allem nicht – ich lächle vor Freude darüber, dass es endlich geklappt hat – in ihrem Zustand.
»Ich sage dir heute Abend Bescheid«, antworte ich, während ich den Kittel ausziehe, den ich heute Morgen über ein asymmetrisches graues Top und eine schwarze Hose gezogen habe, und dränge mich an ihr vorbei. »Versprochen. «
Zehn Minuten später parke ich am Straßenrand vor der Kirche. Sie sieht aus wie eine Kathedrale. Oder wie die Kulisse für einen Horrorfilm. Ich weiß nicht, was zuerst da war, die Kirche oder die ganzen Pubs in Talyton St. George, aber es würde mich nicht wundern, wenn ein Bischof sie hätte erbauen lassen, um seine trunksüchtige Gemeinde zu bestrafen. Eine Nacht in der Krypta, und man rührt nie wieder ein Glas an.
Aus den wütend verzerrten Mäulern der Wasserspeier tröpfelt Wasser von einem früheren Regenschauer und bildet dunkle Flecken am Mauerwerk darunter. Der von giftigen Eiben eingefasste Friedhof – zumindest sind sie für Pferde giftig, so viel weiß ich noch aus dem Studium – quillt über von Grabsteinen und aufwendigeren Grabmälern, an deren Inschriften sich die Geschichte von Talyton St. George ablesen lässt.
Falls ich hierbleiben sollte, würde auch ich zu einem kleinen Teil der Geschichte der Stadt, als eine der Tierärztinnen im Otter House. Ich wäre wie Gillian vom Blumenladen oder Cheryl aus dem Copper Kettle oder Mr Lacey vom Weingeschäft. Ich würde dazugehören …
Ich werfe einen Blick auf meine Uhr und sehe, dass ich zu spät bin, genau wie Emma vorausgesagt hat. Ich husche in die Kirche und setze mich auf einen der Stühle hinter den Bankreihen.
Es sind viel mehr Trauergäste da, als ich erwartet hätte. Es sieht aus, wie wenn die ganze Stadt gekommen wäre. Ich sehe Izzy und Chris, PC Phillips, den Sanitäter Dave, Frances, Fifi und ihre freiwilligen Helfer und eine Handvoll älterer Frauen in schwarzen Kleidern, die nach Kampfer und Je Reviens riechen. Die Bank der Fox-Giffords steht im rechten Winkel zu allen anderen, wahrscheinlich um den Adel vom gemeinen Volk zu trennen. Alex trägt einen schwarzen Anzug, in dem seine breiten Schultern wundervoll zur Geltung kommen, und ein weißes Hemd, das einen scharfen Kontrast zu seinem leicht gebräunten Gesicht bildet. Ich habe ihn noch nie im Anzug gesehen. Es verleiht ihm etwas Grüblerisches. Denken Sie nur an José Mourinho.
Er fängt meinen Blick auf und nickt mir grüßend zu, und eine Woge der Scham erfasst mich, als ich daran zurückdenke, wie ich mich ihm an den Hals geworfen habe und er mich zurückwies.
Der alte Fox-Gifford trägt einen marineblauen Blazer und stützt sich auf seinem Gehstock ab. Sophia hat einen echten Fuchspelz um die Schultern gelegt, an dessen Ende der grässliche glasäugige Kopf hängt.
Schließlich ist der Gottesdienst zu Ende. Die Orgel setzt ein – Bachs »Jesus bleibet meine Freude«, glaube ich –, und ich neige respektvoll den Kopf, als der Sarg an mir vorbeigetragen wird.
Arme Gloria. Ich dachte, ich würde wütend auf sie sein. Ich konnte mir nicht vorstellen, wie ich ihr jemals verzeihen sollte, aber jetzt, nachdem Alex außer Lebensgefahr ist – ich werfe ihm einen kurzen Blick zu –, tut es mir unendlich leid, dass sie keinen anderen Ausweg mehr gesehen hat, als sich das Leben zu nehmen.
Ich folge den übrigen Trauergästen und warte, während Gloria in der hinteren Ecke
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