Stadt, Land, Kuss
des Friedhofs beerdigt wird, wo schon ihr Ehemann Tom seine letzte Ruhestätte gefunden hat. Auf dem Grabstein ist noch Platz für ihren Namen und einen Grabspruch, was beweist, dass sie es geschafft haben muss, ihm seine Affäre mit Fifi zu verzeihen. Ich weiß nicht, ob es an diesem Gedanken liegt, an den Erdklumpen, die auf ihren Sarg fallen, oder an den traurigen Rufen der Möwen über unseren Köpfen, aber plötzlich bildet sich ein Knoten in meiner Brust. Und da steht auf einmal Ben neben mir und berührt mich am Arm.
»Alles in Ordnung, Maz?«, fragt er.
Ich nicke wortlos, denn ich traue meiner Stimme nicht.
»Du darfst dir keine Vorwürfe machen«, sagt er streng. »Gloria war krank. Anfangs war es ein selbstloses gutes Werk, doch mit der Zeit wurde es zu einem Zwang, einem Verhalten, das sie nicht mehr kontrollieren konnte.«
»Sie liebte ihre Tiere«, erkläre ich.
»Ja, das bezweifle ich nicht, und sie glaubte auch tatsächlich, dass sich niemand so gut um sie kümmern könnte wie sie selbst, aber es stimmt, was Fifi sagt: Sie hat sich selbst etwas vorgemacht. Als ihr das Geld ausging und sie immer gebrechlicher wurde, ist ihr alles über den Kopf gewachsen.« Ben zögert. »Wir sind alle mit verantwortlich für das, was passiert ist.«
Ich weiß, dass er recht hat. Gloria war seine Patientin, und er wusste, dass sie Probleme hatte, trotzdem hat er niemandem von seinem Verdacht erzählt – vielleicht auch weil er es wegen seiner Schweigepflicht gar nicht durfte. Fifi und der Talytoner Tierschutzverein haben Gloria zu schnell aufgegeben, und ich habe sie in eine ausweglose Situation gebracht, in der sie sich nicht mehr anders zu helfen wusste. Die Vorstellung, ohne ihre Tiere zu leben, war für sie schlimmer als der Tod, darum hat sie versucht, sie alle mitzunehmen, indem sie dieses Inferno in ihrem Cottage heraufbeschwor. Mir kommt das Insekt in den Sinn, das in dem Stück Bernstein an Glorias Silberkette eingeschlossen war. Glorias Zuflucht war eine Todesfalle.
»Dr. Mackie, kommen Sie auch mit zur Totenwache?« Fifi, die in ihrer Kombination aus Lila und Schwarz einen ziemlich Furcht einflößenden Anblick bietet, rauscht auf uns zu. »Und was ist mit Ihnen, Maz?«
»Ich fahre gleich zurück ins Otter House«, antworte ich.
»Das geht nicht«, widerspricht Fifi. »Sie gehören doch jetzt dazu. Sie müssen mitkommen«, erklärt sie in einem Ton, der keinen Widerspruch duldet.
Es rührt mich, dass zumindest Fifi mich dabeihaben will, aber – ich schaue nach vorn, den Weg entlang, wo Alex mit seiner Mutter am Arm hinter seinem Vater hergeht – andere sehen das nicht so. Trotzdem überzeugt mich etwas in meinem Inneren davon, zusammen mit den anderen zum Talymill Inn zu fahren, und sei es nur, um noch ein paar Minuten länger in Alex’ Nähe sein zu können.
»Was ist das für ein Zeug?« Der alte Fox-Gifford beäugt misstrauisch das Häppchen, das er von einem der Tabletts auf dem Tresen genommen hat.
»Toast mit Oliven und Sardellen, glaube ich«, sagt Fifi. »Das gibt es auch manchmal bei den Empfängen, die ich in meiner Eigenschaft als Gattin des Bürgermeisters besuche.«
Der alte Fox-Gifford rümpft die Nase. »Das ist doch nicht vegetarisch, oder?«
»Sardellen sind Fische«, antwortet Fifi.
»Warum haben sie denn nicht einfach die guten alten Vol-au-vents gemacht?«, fragt Sophia. »Die mag doch jeder.«
»Mit dieser Stadt geht’s bergab, wenn ihr mich fragt«, schimpft der alte Fox-Gifford. »Wer hierherzieht, sollte seine neumodischen Angewohnheiten aufgeben oder dahin zurückgehen, wo er hergekommen ist.«
»Ach, etwas Abwechslung schadet doch nicht«, entgegnet Fifi und sieht zu Clive hinüber, der Getränke verteilt. Ich frage mich, was sie im Sinn hat. Clive ist verheiratet, und sie muss mindestens zehn Jahre älter sein als er, aber das hält sie nicht davon ab, mit ihm zu flirten. Ich gehe zu ihm rüber und nehme mir ein Glas Apfelsaft.
»Oh, Maz, bleiben Sie hier«, ruft Fifi, als sie mich bemerkt. »Ich will gleich noch ein paar Worte sagen.«
Ich gerate in Panik und frage mich, was ich gesagt oder getan haben könnte, um sie zu verärgern, doch da schlägt sie schon mit einem Messer gegen ihr Glas.
»Liebe Freunde und Mitbürger«, ruft sie, um die Aufmerksamkeit der Anwesenden auf sich zu ziehen. »Ich möchte Ihnen allen dafür danken, dass Sie heute gekommen sind, um sich von Gloria zu verabschieden und sie so würdevoll zu Grabe zu tragen. Und ich danke Ihnen,
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