Stadt, Land, Kuss
um das Otter House zu kümmern, und wenn ich etwas verspreche, dann halte ich es auch.
Am Stand des Tierschutzvereins muntere ich mich wieder ein wenig auf, kaufe für ein paar Pfund Tombolalose und ziehe mit einem Tiegel Körperpeeling, der aussieht, als sei er schon einmal geöffnet worden, und einem Aquarelldruck mit einem Sonnenuntergang-Motiv von dannen.
Ich schlendere weiter in Richtung Parkplatz und folge dem Kiesweg an einem provisorischen Übungsplatz vorbei, wo mehrere Reiter ihre Pferde über Hindernisse springen lassen. Sophia ist auch da. Sie hält ein kleines Pony an der Longe, das so schnell im Kreis trabt, dass seine Beine kaum noch zu erkennen sind. Das Mädchen auf seinem Rücken kann nicht älter als fünf Jahre sein und trägt Reithosen, eine rote Warnweste und Bänder im Haar. Es presst entschlossen die Lippen zusammen, zerrt kräftig an den Zügeln und stößt dem Pony die Fersen in die Flanken.
»Geh mit dem Bein ran, Lucie. Mehr Bein.«
Das Mädchen schlägt mit den Beinen, woraufhin das Pony bockt und es nach vorn auf seinen Hals schleudert, von wo aus die Kleine langsam auf den Boden gleitet.
»Ho, Tinky.« Sophia bringt das Pony zum Stehen. Es senkt den Kopf und beginnt, am Gras zu rupfen. Lucie bricht in lautes Schluchzen aus. Sophia hilft ihr auf, bürstet den Schmutz von ihren Kleidern, gibt ihr einen Klaps auf den Hintern und setzt sie sofort wieder in den Sattel.
»Das war deine eigene Schuld«, weist sie sie zurecht. »Du sollst doch aufpassen, dass Tinky nicht den Kopf runternimmt.«
Das Kind wischt sich mit dem Ärmel übers Gesicht.
»Heißt das, ich bin jetzt eine richtige Reiterin?«
»Wie oft bist du denn schon vom Pferd gefallen?«
Das Mädchen zählt an seinen Fingern ab. »Fünfmal.«
»Dann fehlen noch zwei«, sagt Sophia. »Du musst siebenmal vom Pferd fallen, ehe du eine richtige Reiterin bist«, und ich danke den Göttern, dass ich selbst nie auf die Idee gekommen bin, reiten lernen zu wollen, wenn das so ist.
Ich gehe weiter und komme bei der Spitzenklöpplergilde und am Bierzelt vorbei. Das hier ist eine völlig andere Welt als die, die ich gewohnt bin. Ehrlich gesagt frage ich mich sogar, ob ich nicht vielleicht durch ein Loch im Raum-Zeit-Kontinuum in ein Paralleluniversum gerutscht sein kann. Ich meine, wer in aller Welt kommt auf die Idee, einen Wettbewerb im Schafscheren auszutragen?
Ich bleibe vor einer Bühne stehen, die vor den Schafpferchen aufgebaut ist. Zwei Männer stehen abwartend da.
»Achtung, fertig, los.« Ich weiß gar nicht, wie ich Nigel und seine Stoppuhr bis jetzt übersehen konnte. Er trägt ein strahlend weißes rüschenbesetztes Hemd, Kniehosen und lange Wollsocken mit kleinen Schellen daran.
Die Männer rennen los, holen jeweils ein Schaf aus den Pferchen hinter ihnen, drehen es auf den Rücken und packen zwei Schergeräte, die in einer Halterung über ihren Köpfen hängen. Die Schergeräte surren. Ein Generator tuckert. Die Wolle fällt von den Schafen ab. Die Schafscherer schwitzen, und das ist jetzt nicht böse gemeint. Der linke von beiden mit den blonden Locken und den geröteten Wangen ist besonders geschickt. Welche Landmaid wäre nicht hingerissen vom Anblick seines straffen, gebräunten Oberkörpers, als ihm das Unterhemd aus der dreckigen Jeans rutscht? Und welcher Städterin würde es nicht genauso ergehen?
Und was ist mit dem rechten? Er hat eine perfekte Brustmuskulatur, doch wenn er sich über sein Schaf beugt, sieht man, dass sich sein Haar allmählich zu lichten beginnt. Ich erkenne ihn wieder. Es ist Stewart Pitt – Lynseys Mann und Vater ihrer zahllosen Kinder.
»Maz, Sie haben es geschafft.« Izzy, die in einem gehäkelten Oberteil, Safarishorts und Gummistiefeln sehr züchtig aussieht, kommt vom Rand der Bühne zu mir herüber.
»Was hat Nigel denn da an?«, frage ich.
»Er hat mit Morristanz angefangen.« Sie lächelt. »Das hat hier Tradition. Wir machen alles, was als Ausrede herhalten kann, um durch die Pubs zu ziehen.«
»Nigel, ich bin fertig«, ruft der blonde Mann und lässt sein Schaf los. Nackt und verängstigt flitzt es über die Bühne. »Halt endlich die Uhr an.«
»Wer ist das?«, frage ich.
»Chris«, antwortet Izzie.
»Ich habe ihn gar nicht wiedererkannt. Wir wurden einander ja auch nicht vorgestellt.« Ich habe ihn nur kurz gesehen, als er die Fassade der Praxis von der Gülle befreit hat. Er muss um die vierzig sein, vielleicht ein paar Jahre jünger, seine Haut ist von der
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