Stadt, Land, Kuss
eine wahre Marathonsitzung zu verwandeln.«
»Vielen Dank auch, dass Sie mich vorgewarnt haben«, entgegne ich sarkastisch.
»Tut mir leid.« Es sieht aus, als wollte er noch einen Schritt näher kommen, doch dann überlegt er es sich anders. »Ich muss weiter … Ich freue mich darauf, Sie wiederzusehen, Maz.«
Ich sehe ihm nach, während er zum Ausgang geht und hinaus in die Sonne tritt. Die Freude beruht nicht unbedingt auf Gegenseitigkeit.
Notfälle
Nachdem ich von der Landwirtschaftsschau ins Otter House zurückgekehrt bin, gehe ich noch mit Miff raus an den Fluss. Auf der Fußgängerbrücke bleibe ich stehen und werfe Stöcke in das schnell fließende, schlammige Wasser, aber Pus Stöckchenspiel macht allein keinen Spaß, und Miff will sich nicht die Pfoten nass machen. Sie weigert sich auch, Stöcke zu apportieren. Wenn ich einen Stock werfe – schon gut, ich weiß, dass ich das nicht tun sollte –, hebt Miff ihn auf, zerkaut ihn und spuckt die Brösel wieder aus.
»Miff, so funktioniert das nicht«, tadele ich sie, und sie sieht mich verletzt an, als wollte sie sagen: »Was erwartest du denn von mir? Ich bin kein Apportierhund.«
»Tut mir leid.« Manchmal erwarte ich einfach zu viel von Menschen – und von Hunden. Schlimmer noch, ich erwarte zu viel von mir selbst. Miff wedelt mit dem Schwanz, als wollte sie sagen: »Entschuldigung angenommen«, und wir spazieren weiter, diesmal auf dem richtigen Weg, von dem wir nur in einer Flussbiegung kurz abweichen, wo die Uferböschung ins Wasser abgerutscht ist.
Außer uns ist niemand hier, und trotzdem fühle ich mich weniger allein als auf der Landwirtschaftsschau, wo ich die Außenseiterin war, die allen anderen dabei zusah, wie sie ihr Leben lebten. Beinahe hätte ich »ihr ruhiges, langweiliges Landleben« gesagt, aber ich habe erkannt, dass das Leben auf dem Land längst nicht so ereignislos und eintönig ist, wie ich dachte.
Zwei Schwäne gleiten still den Fluss hinab. Einer von ihnen breitet die Flügel aus und legt sie wieder an den Körper an.
Trotzdem ist dieses Leben nichts für mich – da bin ich mir sicher. Was auch immer ich suche, hier in Talyton St. George werde ich es nicht finden.
»Ich gebe Ihnen die Nummer der Talyton Manor Praxis …« Es ist Montagmorgen, und Frances, die ein so grell gemustertes Kleid trägt, dass man das Gefühl hat, halluzinogene Drogen eingenommen zu haben, öffnet ein neues Fenster auf ihrem Bildschirm am Empfang. »Die Fox-Giffords wissen alles über jede nur denkbare Tierart. «
Ich wedle ihr hektisch zu und forme ein Nein mit den Lippen. Sie legt den Anrufer in die Warteschleife.
»Es geht um ein Nutztier, Maz, ein Huhn mit Legenot«, sagt sie und mustert mich über den Rand ihrer Brille hinweg. »Ich glaube kaum, dass Sie das behandeln können.«
»Mit einem Huhn werde ich schon fertig. Bitte schicken Sie keine potenziellen Patienten nach Talyton Manor, ohne vorher mit mir Rücksprache zu halten.« Ich habe den Verdacht, dass ich noch alle Patienten brauchen werde, die ich kriegen kann. »Lassen Sie mich selbst mit dem Besitzer sprechen.«
Das Huhn erweist sich als ein Haustier namens Duffy. Es gackert im Hintergrund, und es hört sich an, wie wenn es versuchen würde, einen Fußball zu legen. Ihrem Besitzer zufolge lebt Duffy im Haus, schaut jeden Abend Soaps und ernährt sich von Pommes frites und Eiscreme. Gerade als vor meinem geistigen Auge das Bild eines Huhns auftaucht, das es sich mit einer Packung Häagen-Dazs auf dem Sofa bequem gemacht hat, hört das hektische Gackern plötzlich auf.
»Duffy hat es geschafft«, sagt ihr Besitzer hörbar erleichtert. »Jetzt brauche ich es doch nicht mehr zu Ihnen zu bringen … Tut mir leid, dass ich Sie gestört habe.«
Ende gut, alles gut, denke ich, abgesehen davon, dass es kein Honorar eingebracht hat. Mich schaudert, als mir auffällt, wie geldgierig ich klinge.
»Es wird heute etwas voller als in letzter Zeit, Maz«, meint Frances. Mir fällt auf, dass sie ihre rote Schleife ans Nachrichtenbrett geheftet hat. »Ich habe Gloria einen Termin gegeben, und es stehen drei, nein vier Operationen an.« Während ich mir im Stillen dazu gratuliere, dass es mir allmählich gelingt, einige der Talytoner Tierbesitzer von mir zu überzeugen, fährt sie fort: »Ach ja, das Schergerät, das Sie bestellt haben, ist angekommen – Izzy hat es schon hinten. Und hier ist ein Brief für Sie.« Sie gibt mir einen Umschlag.
»Der ist ja schon geöffnet«, stelle
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