Stadt, Land, Mord - Granger, A: Stadt, Land, Mord - Mud, Muck and Dead Things
»Zufall«. Von allen möglichen Stellen, wo eine Leiche liegen konnte – eine Leiche, ein menschlicher Leichnam, einfach so! –, hatte sie ausgerechnet in diesem Kuhstall gelegen. An der Stelle, wo Lucas und der andere verabredet gewesen waren.
Nein, nein. Zufälle wie dieser ereigneten sich im Film und in Büchern. Sicher, sie konnten sich auch im richtigen Leben ereignen, doch er musste ganz sicher sein.
War er möglicherweise das Opfer einer linken Tour geworden?
Hatte sich einer von jenen, die er bei einem Geschäft ausgestochen hatte, nicht von seinem Charme besänftigen lassen? War das die Rache eines Konkurrenten?
Falls ja, so wollte er wissen, wer dahintersteckte. Und derjenige würde feststellen, dass er es mit dem anderen Lucas zu tun hatte. Dem Lucas, der überhaupt keinen Charme versprühte. Dem Straßenschläger, der er früher einmal gewesen war.
Er dachte nicht, dass die Person, mit der er sich hatte treffen wollen, hinter dieser Sache steckte. Weil sie keinen Grund dazu hatte. Aber jemand anders. Jemand, der von dem geplanten Treffen gewusst hatte, wahrscheinlich. Verdammt, er hatte dem anderen Verschwiegenheit eingeschärft und gedacht, sie wären beide der gleichen Meinung, was das anging. Es lag schließlich in ihrer beider Interesse. Es hatte doch wohl keine dritte Partei …?
Er nahm sein Mobiltelefon hervor und ging die Liste von Nummern in seinem Adressbuch durch, dann drückte er auf eine Taste.
»Ich bin’s«, sagte er forsch, als das Gespräch angenommen wurde. »Bist du allein? … Gut, dann hör genau zu. Unsere Geschäftsbeziehung ist vorbei … Ja, vorbei! Ich bin über eine Leiche gestolpert auf dieser verdammten Farm! … Nein, ich bin nicht betrunken, verdammt! Warum zum Teufel hast du diesen Treffpunkt ausgesucht? Ich bin in eine Art Kuhstall gegangen, und da lag eine Leiche … Ja, ich bin sicher! Woher soll ich denn wissen, wer es war? Früher oder später wird man sie finden, und dann wimmelt es auf der verdammten Farm von Bullen! Ich war nie dort, klar? Du und ich, wir waren nie dort verabredet. Das ist unsere Geschichte, und dabei bleibt es. Wir sind lediglich Bekannte, nichts weiter, ohne jede gemeinsame Vergangenheit … Ja, du hast mich richtig verstanden. Bekannte, mehr nicht, und dabei wird es bleiben …«
Die Person am anderen Ende der Leitung protestierte laut.
»Halt die Klappe!«, schnappte Lucas. »Der Gedanke gefällt mir ganz und gar nicht, dass mich jemand aufs Kreuz legen wollte …«
Weiterer heftiger Protest.
Lucas fuhr ihm über den Mund. »Hör zu, ich sage ja nicht, dass du es warst! Aber wenn nicht du, wer dann? Hast du geredet? Hast du mit irgendjemandem geredet? Irgendeine Andeutung fallen lassen? Ein Blatt Papier herumliegen lassen mit meinem Namen oder meiner Nummer darauf? Oder dem Namen dieser verdammten Farm? Hat irgendjemand vielleicht mithören können, was wir am Telefon besprochen haben?«
Eine markige Antwort kam aus dem Hörer.
»Wie du meinst«, sagte Lucas. »Ich mag keine Zufälle, und Zufälle wie diesen erst recht nicht. Ich bin überzeugt, dass mich jemand reinlegen wollte. Vielleicht uns beide, und ich will wissen, wer es war und warum! Eins kannst du mir glauben – ich werde es herausfinden!«
Als Jess spät am Freitagabend nach Hause kam, lag auf ihrer Fußmatte gleich hinter der Tür ein zerknitterter Briefumschlag mit einer ausländischen Briefmarke. Sie bückte sich und hob ihn freudig überrascht auf. Simon hatte Zeit gefunden, ihr zu schreiben! Briefe von ihrem Zwillingsbruder waren eine Seltenheit. Simon war Arzt und arbeitete für eine medizinische Hilfsorganisation an verschiedenen Brennpunkten auf der Welt. Die Gegenden, in denen er zum Einsatz kam, waren abgelegen und gefährlich, und die Kommunikation unsicher und störanfällig. Er hatte keine Freizeit. Aus diesem Grund war sein Brief, wahrscheinlich des Nachts im flackernden Lichtschein einer Öllampe geschrieben, eine Kostbarkeit.
Sie steckte ihn in die Tasche, um ihn später genussvoll zu lesen, und versetzte der Tür mit dem Absatz einen Stoß, dass sie ins Schloss fiel.
Ihre Wohnung war klein, doch es gefiel ihr so, weil sie nur wenig Arbeit machte. Sie hatte keine Zeit (und keine Lust) auf regelmäßiges Staubsaugen und Wischen. Auf der anderen Seite war sie von Natur aus sauber und verspürte eine Abneigung gegen Unordnung und Chaos. Aus diesem Grund war die Wohnung sorgfältig möbliert, mit nicht mehr als den notwendigen Stücken und ohne
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