Stadt, Land, Mord - Granger, A: Stadt, Land, Mord - Mud, Muck and Dead Things
denen vorliebnehmen, die du hast!«
Sie platzte durch eine Tür und fuhr übergangslos fort, diesmal an Jess gewandt: »Mein Gott, wie diese Kinder wachsen! Ich denke, die alten Chinesen hatten die richtige Idee, als sie ihnen die Füße gebunden haben! Kommen Sie rein!«
Jess wurde in ein großes Wohnzimmer mit einem viktorianischen Kachelofen und verblassten Teppichen geführt. Der Raum war vollgestellt mit einem Sammelsurium verschiedensten Mobiliars: eine große, dreiteilige Garnitur mit gleichermaßen verblassten Bezügen aus Cretonne, ein riesiges Chesterfield-Sofa, das aussah, als wäre es irgendwie aus einem Gentlemen’s Club entwichen, diverse kleine Tischchen, allesamt übersät mit Büchern, Pferdemagazinen und Zeitungen, und ein prachtvoller frühviktorianischer oder spätgeorgianischer Schreibtisch. Sämtliche nicht mit abgelegten Papieren bedeckten Oberflächen waren staubig.
»Setzen Sie sich doch. Möchten Sie etwas zu trinken?«, erkundigte sich Selina gastfreundlich, indem sie auf einen der Lehnsessel mit seinem Cretonne-Bezug deutete. »Ich würde Ihnen ja gerne einen Gin Tonic oder so etwas anbieten, aber ich nehme an, Sie trinken nicht im Dienst. Wir könnten vielleicht Kaffee oder Tee auftreiben. Reggie! «
»Nein, nein, nur keine Umstände!« Jess streckte erschrocken eine Hand aus, um zu verhindern, dass Reggie Foscott herangezogen wurde, den Teekessel aufzusetzen. »Keinen Kaffee und keinen Tee, trotzdem danke.«
Sie nahm in dem angebotenen Lehnsessel Platz. Er erwies sich als eine alarmierende Erfahrung. Die Federn knarrten und ächzten, und sie sank viel tiefer ein, als sie erwartet hätte. Ihre Knie standen vor ihr hoch, die Armlehnen des Sessels erhoben sich zu den Seiten wie die Abtrennungen einer Pferdebox, und irgendetwas drückte ihr unangenehm in den unteren Rücken.
»Bequem?«, fragte ihre Gastgeberin und warf sich selbst auf das Chesterfield.
»Danke, sehr«, antwortete Jess, während sie bei sich dachte, es müsste doch offensichtlich sein, dass dem nicht so war.
»Es überrascht mich kein Stück, dass Sie gekommen sind«, begann Selina mit unüberhörbarer Befriedigung.
»Oh?«
»Es ist zwecklos, mit jemand draußen beim Reitstall über die Cricket Farm zu reden. Sie sind alle neu zugezogen. Pennys Tante hat viele Jahre hier gelebt, aber Penny selbst war nur hin und wieder zu Besuch hier, bis das alte Mädchen gestorben ist und ihr alles vermacht hat. Dann hat sie den Reitstall gekauft. Lindsey – haben Sie Lindsey kennen gelernt?« Selina unterbrach sich und sah Jess mit hochgezogenen Augenbrauen an.
Jess bejahte die Frage.
»Sie ist zwar eine Einheimische, aber ihr Mann ist neu in unserer Gegend. Er ist erst vor ungefähr zehn Jahren hergezogen.«
Wie lange musste man um Gottes willen hier wohnen, um nicht mehr »neu in dieser Gegend« zu sein, fragte sich Jess. Wahrscheinlich wurde man nie ein Einheimischer, wenn man nicht hier geboren war. Ihr wurde bewusst, dass es zwar einen breiten sozialen Graben zwischen Eli Smith und Selina Foscott gab, doch sie waren geeint durch die Tatsache, dass beide hier geboren waren. Das zählte anscheinend eine ganze Menge.
»Sie meinen Mark Harper?«, fragte Jess. »Ich habe ihn kennen gelernt.«
»Er hat eine Menge Geld gemacht in der Stadt«, erklärte Selina düster. »Sie haben Lower Lanbury House gekauft, und jetzt spielt er den Gentleman vom Land. Er muss ein verdammtes Vermögen ausgegeben haben für dieses Haus. Sogar eine Sauna und einen Jacuzzi hat er einbauen lassen. Was soll man sagen, jedem nach seinem Geschmack. Lindsey ist eine gescheite Frau. Und sie ist eine Einheimische. Ich war mit ihrer Mutter zusammen in der Schule. Wendy war älter als ich, und sie konnte sehr gut mit Pferden umgehen, genau wie ihre Tochter Lindsey heute. Nun ja. Was kann ich für Sie tun?«
Jess beugte sich verlegen vor und kramte in dem unverzichtbaren grünen Rucksack zu ihren Füßen. »Ich hatte überlegt, ob Sie vielleicht einen Blick auf dieses Photo werfen könnten?«
Eigentlich hätte sie aufstehen müssen und Selina das Bild reichen, doch sie hatte das grauenvolle Gefühl, dass dies nicht ohne einen würdelosen Kampf gegen den Polstersessel gehen würde.
Selina kam ihr entgegen, indem sie von dem Chesterfield sprang, das Photo packte und sich damit wieder zurückzog. »Wer sind diese Leute, hm? Oh, das ist ein Pub nicht weit von hier. Ich gehe selbst nicht in Pubs, wissen Sie, aber ich weiß, wo all die alten sind. Das dort
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