Stadtfeind Nr.1
Himmelspforte klopfen wird, einen gewissen draufgängerischen Mut besitzt, der mir fehlt, aber ich bin trotzdem entschlossen, einen Versuch zu wagen.
»Dieses Lokal«, sagt Wayne, »ist einfach genau wie bei Springsteen.« Er nickt und singt eine Zeile. » Just sitting back trying to recapture a little of the glory ... «
Ich singe es für ihn zu Ende. » Time slips away, leaves you with nothing, mister, but boring stories of glory days. «
Wayne lächelt. »Wie Sammy immer sagte, es gibt für jeden Anlass einen Springsteen-Song.«
»Ich kann mich erinnern.«
»Die Leute starren uns an«, bemerkt Wayne grinsend.
Ich kippe noch einen Wodka. »Scheiß auf sie«, sage ich, oder vielmehr sagt es der Suff.
»Scheiß auf sie«, wiederholt Wayne, hebt sein Glas zu einem Toast und schlürft noch einen winzigen Schluck.
Trinken bringt mich immer dazu, dramatische, persönlichkeitsverändernde Entschlüsse zu fassen, Verhaltensanpassungen, die ohne die erschwerende Behinderung der Nüchternheit leicht und offensichtlich erscheinen. In diesem Augenblick beschließe ich, in einer schützenden Lederhülle aus cooler, ironischer Distanziertheit zu verharren, so wie Wayne, bereit, es unerschrocken mit jeglichen Dämonen aus meiner Vergangenheit aufzunehmen, die auf mich lauern. Ich bin absolut überzeugt, dass ich das schaffen kann. Weshalb meine Verwunderung umso größer ist, als ich auf einmal von zwei kräftigen Händen gepackt und gewaltsam von meinem Platz hochgerissen werde. Als ich zu taumeln beginne, bekomme ich einen Faustschlag aufs Ohr, sodass ich herum schnelle und schließlich auf den Arsch knalle. Als ich aufblicke, sehe ich eine ältere, aufgedunsene Version von Sean Tallon über mir, das Gesicht von puterrotem Zorn verzerrt, die Fäuste geballt. »Hey, Sean«, sage ich, während ich mich unsicher hochrappele. »Wie geht's denn so?« Ich gehe von der Annahme aus, dass es für ihn zu widersinnig sein wird, mich zu schlagen, sobald er erst einmal ins Gespräch gezogen ist. Offensichtlich weiß ich nicht die Bohne über Schlägereien, denn wenn hier etwas widersinnig ist, dann das Gespräch. Er schlägt mich noch einmal, diesmal mit einem Roundhouse-Punch, der durch meine mädchenhaft ungelenke, flatternde Gestalt segelt und von außen schmerzhaft meine Augenhöhle streift, womit er gleichzeitig meine schlecht entworfene Theorie widerlegt und mich nach hinten gegen meinen Tisch schleudert.
»Hey, du Blödmann«, sagt Sean, während er auf mich zukommt. »Ich hab schon drauf gewartet, dass du deinen erbärmlichen kleinen Arsch wieder hier zeigen würdest.«
Die Äußerung treffender Pointen ist selten in der nicht schriftlich festgehaltenen Welt. Im Allgemeinen fallen sie dir erst im Nachhinein ein, zu einem Zeitpunkt, zu dem sie natürlich völlig wertlos sind. Folglich empfinde ich jedes Mal einen fast religiösen Gewissenszwang, die Gelegenheiten zu ergreifen, in denen mir der glückliche Zufall ein Zusammentreffen von Umstand und Geistesschärfe bietet, ungeachtet des Ergebnisses, das fast immer nachteilig ist. Und so sage ich: »Du hattest eben schon immer eine Schwäche für kleine Arsche«, und Sean tritt mich in den Magen. Als ich nach hinten auf meinen Tisch falle, werde ich für meine verbale Schärfe von Waynes beifälligem höhnischen Gelächter belohnt und in gewisser Weise getröstet von der Tatsache, dass Sean bereits dabei war, mich zusammenzuschlagen, bevor ich seine Sexualität infrage stellte. Inzwischen sind wir die Hauptattraktion, meine zweite öffentliche Auspeitschung innerhalb eines Tages. Sean stemmt theatralisch einen Stuhl über seinen Kopf hoch, und ich erkenne mit Entsetzen, dass er allen Ernstes vorhat, ihn auf mich niederzuschmettern, während ich ausgestreckt auf dem Tisch liege. Ich frage mich irrsinniger Weise, ob der Stuhl beim Aufprall wohl in Stücke fliegen wird, wie es im Kino bei Möbeln immer der Fall zu sein scheint. Mein Körper zieht sich unwillkürlich zu einer fötalen Position zusammen, die Augen fest zusammengepresst, absolut erbärmlich. Es gibt ein lautes splitterndes Geräusch, von dem ich annehme, dass es meine Knochen sind, die unter dem Stuhl nachgeben, aber einen Augenblick später wird mir bewusst, dass ich keinen Schmerz empfinde, und ich schlage die Augen auf. Sean liegt zusammengekrümmt auf dem Boden, die Arme vor dem Bauch verschränkt, den Stuhl zerbrochen ein paar Schritte neben sich auf dem Boden. Zwischen ihm und meinem erbärmlichen kleinen
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