Stadtgeschichten - 01 - Stadtgeschichten
Fenster auf? Nein, warte … ich mach es schon.« Er stieg tropfnaß aus der Dusche und schob das Fenster hoch.
»Äh … Michael? Herzblatt?«
»Hm?«
»Warum machst du das?«
»Was?«
»In Jeans unter die Dusche gehen.«
»Oh …« Lachend hüpfte er wieder in die Kabine. »Ich bearbeite mein bestes Stück mit der Drahtbürste. Soll ich’s dir mal zeigen?« Er griff nach einer Drahtbürste, die auf dem Boden der Duschkabine lag. »Mit der kriegt man es wunderbar hin, daß die Formen genau dort durch helle Stellen betont werden, wo es drauf ankommt.« Michael scheuerte vorsichtig über den Schritt seiner Jeans und verzog in gespieltem Schmerz das Gesicht. »Auaaa!«
Mona reagierte kühl. »Do-it-yourself-SM, oder was?«
Michael bespritzte sie mit Wasser. »Wenn die trocken sind, sehen die saustark aus.«
»Wo hast du das denn her? War das einer von den Tips für die patente Hausfrau?«
»Das ist keine Lappalie, du Frau. Mein bestes Stück muß heute abend hundert Prozent perfekt aussehen.«
»Triffst du dich mit Chuck?«
»Mit wem? … Ach so. Nein. Ich will in die Grand Arena.«
»Ist das eine neue Kneipe?«
»Nein. Eine Rollschuhbahn.«
»Du gehst Rollschuh laufen?«
»Ja, ich gehe Rollschuh laufen. Dienstags ist immer Gay Night.«
Mona verdrehte die Augen. »Jetzt weiß ich, daß ich mich umbringen werde.«
»Es ist sagenhaft. Du wärst begeistert. «
»Ich hab noch nicht mal davon gehört. «
Michael stieg aus der Dusche, schälte sich aus seinen Jeans und trocknete sich ab. »Na, du bist mir vielleicht ein Schwulenmuttchen.«
»Das hab ich nicht gehört«, sagte Mona und ging hinaus.
Michael erreichte die Grand Arena erst gegen acht und machte sich auf das Schlimmste gefaßt.
Natürlich trat es auch ein.
Es gab bereits keine Männerrollschuhe mehr.
Kein Wunder. Die riesige Bahn in South San Francisco war voller flanellbehemdeter Männer, die in aufgeregter Balz ihre Runden drehten.
Michael atmete tief durch.
Er zog seinen dunkelblauen Parka aus, mutete sich die Erniedrigung von Frauenrollschuhen zu (weiß, mit zimperliesenhaften Troddeln) und stakste unbeholfen an den Rand der Rundbahn.
Er grinste, als er die Orgelmusik vom Band erkannte: »I Enjoy Being a Girl.«
Auf der Bahn waren etwa ein halbes Dutzend Mädchen unterwegs. Vier davon waren unter zwölf. Die anderen waren turmfrisurbewehrte Loretta-Lynn-Doubletten in softeisfarbenen Kunstlaufkostümen. Sie klebten an softeisfarbenen Partnern des anderen Geschlechts, die sie über die Rollbahn wirbelten, als wären sie Brisbanes Antwort auf Baryschnikow.
Die anderen hundert Männer legten nicht ganz so viel Grazie an den Tag.
Mit fuchtelnden Armen und aufgerissenem Mund rollten sie wie eine an- und abschwellende Flut aus Jeansstoff über die Bahn. Einige waren allein; andere kurvten vergnügt in Vierer- oder Fünferschlangen durch das Rund. Für Michael war es ein bezaubernder Anblick.
Er wartete noch einen Moment, um sich zu wappnen.
Wann war er zum letztenmal gelaufen? In Murphey’s Skating Rink … Orlando 1963.
Er murmelte ein kurzes baptistisches Allerweltsgebet vor sich hin. Mit der Außersinnlichen Transzendenz war man in solchen Situationen aufgeschmissen.
Entgegen seinen Befürchtungen klappte es ziemlich gut.
In den Kurven wackelte er ein wenig, aber es gab nichts zu kichern.
Nach fünf Minuten fuhr er sicher genug, um sich ernsthaft dem Cruising zu widmen.
Er hatte auch schon einen Favoriten. Einen blonden Kerl in Baumwollhose und blauem Gant-Hemd. Er sah aus wie der stellvertretende Klassensprecher jeder beliebigen High-School-Klasse in Nordflorida. Wahrscheinlich fuhr er immer noch einen Mustang.
Und er war allein.
Michael pirschte sich an seine Beute heran, indem er zwei kleine schwarze Kinder in Dyn-O-Mite-T-Shirts überholte. Das einzige Hindernis war jetzt noch ein softeisfarbenes Heteropaar, das nur ein paar Meter weiter eine Show abzog, als wäre es bei Arthur Murray in die Tanzschule gegangen.
Das Paar flitzte dahin wie eine Jacht im Wind, schwenkte nach links und machte Michael den Weg frei …
Er kam sich vor wie der Star eines Roller Derby bei einer Attacke.
Den Blick fest auf sein Opfer gerichtet, beschleunigte er kurz vor der Kurve … und erkannte, allerdings zu spät, was gleich passieren würde. Der Blonde legte sich nicht in die Kurve.
Er bremste ab.
Und Michael hatte vergessen, wie man bremste.
Er ruderte hektisch mit den Armen, bis seine Hände am qualitativ hochwertigen
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