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Stadtgeschichten - 04 - Tollivers Reisen

Stadtgeschichten - 04 - Tollivers Reisen

Titel: Stadtgeschichten - 04 - Tollivers Reisen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Armistead Maupin
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sagte Douglas.
    Langsam wie eine Schildkröte lugte Michael aus seinem Schlafsack, fand die Luft entschieden zu frisch und verkroch sich wieder. Übereiltes Handeln war in diesem Fall nicht sinnvoll. Daß er sich am allgemeinen Frotzeln nicht beteiligt hatte, war noch nicht aufgefallen. Er konnte ohne weiteres noch ein Weilchen schlafen.
    Irrtum. Scottys lächelndes Gesicht erschien in der Fensteröffnung des Zelts. »Guten Morgen, mein Schöner.«
    Michael kroch ein Stückchen aus dem Schlafsack und salutierte verschlafen.
    »Hast du vor, dich waschen zu gehn?« fragte der Koch.
    »Demnächst, ja.«
    »Gut. Bring mir ein bißchen garni mit, ja?«
    »Äh … garni?«
    »Für die Grapefruit«, erklärte ihm Scotty. »Neben der Straße wächst allerhand nettes Zeug.«
    »Aha.«
    »Einfach was Hübsches. Es muß natürlich nicht eßbar sein.«
    »Natürlich.«
    Garni in Death Valley. Darin mußte irgendwo eine verborgene Erkenntnis liegen – über das Leben, über Ironie und schwule Sensibilität –, doch sie wollte sich ihm nicht erschließen, während er mitten in dieser Einöde neben einem Dicken in Bermudashorts und Schlappen an einem Waschbecken stand und sich die Zähne putzte.
    Auf dem Rückweg zum Lagerplatz verließ er den Pfad, fand die gewünschte Dekoration – ein blaßgrünes faseriges Kraut, von dem nichts abzufallen schien – und beschloß, querfeldein zurückzugehen. Der frische blaue Morgen versetzte ihn in eine eigenartige Hochstimmung, und er wollte das Gefühl ungestört genießen.
    Sie hatten ihre Zelte an einem ausgetrockneten Bachbett am Nordrand des Campingplatzes Mesquite Springs aufgestellt, wo eine gnädige Laune der Geographie dafür sorgte, daß einige Felsen die benachbarten Wohnmobile verdeckten. Was nun dazu führte, daß er den Lagerplatz erst wiederfand, als er die sandfarbene Spitze des Großen Zelts erspähte – Ned hatte das Gemeinschaftszelt aus Bambusstangen und Gärtnereiplanen improvisiert.
    Das Frühstück war ein voller Erfolg. Scotty waren die Eier Benedikt grandios gelungen, und Michaels garni wurde mit höflichem Applaus bedacht. Als abgeräumt war, machten Douglas und Paul Wasser fürs Abwaschen heiß, während Roger und Gary sich in ihre Ecke verzogen, um die Halluzinogenpilze in sieben gleiche Portionen zu teilen. Als jeder seine Ration geschluckt hatte, schlug Ned einen Ausflug in die Last Chance Mountains vor. Er nahm Michael beiseite und sagte: »Ich muß dir was zeigen. Etwas Besonderes.«
    Scotty blieb zurück und kümmerte sich um das Mittagessen; die anderen folgten Ned hinauf in die Hügel. Da und dort hielten sie an, um eine Kaktusblüte oder eine exotische Felsformation zu bewundern. (Douglas war ganz sicher, an einer Stelle Schriftzeichen entdeckt zu haben, doch sein prosaischer Liebhaber versicherte ihm, das seien »nur die Pilze«.)
    Sie erreichten ein Plateau, auf dem der Wind zwischen glatten schwarzen Felsblöcken hindurchfegte, die zu geometrischen Formen zerborsten waren. Am Rand des Plateaus ragte ein aus Steinbrocken errichteter, mannshoher Obelisk auf. Michael fand ihn erheblich weniger stimmig als die Landschaft ringsum.
    Douglas blieb stehen und betrachtete den Stapel. »Erinnert mich sehr an Carlos Castaneda«, murmelte er.
    »Sehr phallisch«, meinte Gary.
    Ned lachte. »Na, dann steh nicht einfach da. Bete ihn an.«
    »Nee«, sagte Gary und schüttelte den Kopf, »der ist mir nicht groß genug.«
    Ihr Gelächter mußte meilenweit zu hören gewesen sein. Ned setzte sich in Bewegung und übernahm wieder die Führung.
    Michael holte ihn ein. »War es das?«
    »Was?«
    »Was du mir zeigen wolltest.«
    Ned schüttelte den Kopf und lächelte geheimnisvoll.
    Sie mußten eine weitere Anhöhe erklimmen. Von oben bot sich ein überwältigender Blick auf das Tal. Eine Anordnung von rötlichen Steinen schien ursprünglich einmal einen riesigen Kreis gebildet zu haben. »Das war mal ein Peace-Symbol«, erklärte Ned. »Erinnert ihr euch an die Dinger?«
    Als sie den Abhang hinunterliefen, sagte Michael: »Ich nehme an, das war’s auch noch nicht, hm?«
    »Nö«, antwortete Ned.
    Das Terrain wurde wieder eben, und sie tasteten sich ungemütlich dicht an der brüchigen Kante eines Steilhangs entlang. Michael hatte Ohrensausen von den Pilzen, was den Eindruck noch bedrohlicher machte. Entfernungen waren schwer abzuschätzen in einer Landschaft, wo der kleinste Stein dem größten Berg glich.
    Plötzlich lief Ned voraus und blieb am Rand einer Klippe

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