Stadtgeschichten - 04 - Tollivers Reisen
stehen. Michael war der erste, der ihn einholte. »Mensch, was machst du denn?«
Sein Partner lachte. »Sieh doch!« Er war in die Hocke gegangen und zeigte zum Talgrund hinunter, wo fünf bunte Zelte wie Hotels auf einem Monopoly-Brett hockten. Hinter ihnen stand glitzernd wie ein Dinky-Spielzeugauto Neds roter Kastenwagen. Sie waren in einem weiten Bogen zum Steilhang oberhalb ihres Lagerplatzes zurückgekommen.
»Na?« fragte Ned.
Michael spähte zu der winzigen Zeltsiedlung hinunter und lächelte. Er mußte Ned nicht fragen, ob dies die versprochene Überraschung war. Er wußte, was Ned ihm damit sagen wollte: Sieh uns an da unten! Sind wir nicht toll? Haben wir nicht was Fabelhaftes fertiggebracht? Siehst du, was wir füreinander bedeuten? Ned hatte sich diesen mitreißenden Augenblick für ihn ausgedacht, und Michael war davon sehr gerührt.
Ned formte die Hände zu einem Trichter und rief der Liliputanergestalt am Lagerfeuer ein Hallo zu. Es war zweifellos Scotty, der bereits das Mittagessen vorbereitete. Suchend sah er sich um, woher die Stimme kam, und winkte überschwenglich zu ihnen hinauf. Ned und Michael winkten zurück.
Nach dem Mittagessen teilte sich die Gruppe wieder auf. Manche zogen sich zu Siesta und Sex zurück, andere wanderten einzeln in die Wüste hinaus und genossen die abklingende Wirkung der Pilze. Michael blieb im großen Zelt zurück und fühlte sich in der herrlichen Stille wie ein Sultan. Als es Abend wurde, kam es ihm vor, als wäre er hier schon ewig zu Hause.
Er stand auf und ging am ausgetrockneten Bachbett, das sich wie ein blasses Band durch die Mesquite-Bäume schlängelte, auf die Hügel zu. Es war inzwischen kühl geworden, und am dunkellila Himmel erschienen die ersten Sterne wie frische Knospen. Nach einer Weile setzte er sich neben einen Kaktus, der tatsächlich im Mondschein einen Schatten warf. Eine leichte Brise umfächelte ihn.
Die Zeit verrann.
Als er sich dem Camp wieder näherte, fühlte er sich wie magisch angezogen vom bernsteingelben Schimmer des großen Zelts, von der sachte wabernden Plane, die an ein pulsierendes Herz erinnerte, und von dem leisen Lachen, das nach draußen drang. Als er eintreten wollte, faßte der Wind in eine der Zeltbahnen wie in das Segel einer Galeone und riß sie los. Drinnen wurde unisono gestöhnt.
»Kann ich helfen?« rief er.
»Michael?« Es war Rogers Stimme.
»Ja. Soll ich’s reparieren?«
»Fabelhaft. Es ist hier drüben. Die hintere Plane hat sich wieder losgerissen.«
»Wo?« Er tastete im Dunkeln herum, bis er die klaffende Stelle fand. »Hier?«
»Genau«, sagte Gary.
Er fing die Plane ein, fädelte die Schnur durch die Ösen und zurrte sie wieder fest. Dann ging er nach vorn und lüpfte die Plane am Eingang.
Sie benutzten die Colemanlaterne nicht mehr, nachdem sie am Abend zuvor festgestellt hatten, daß sie sich nicht herunterdrehen ließ. Pauls einfallsreiche Alternative bestand aus einer großen Taschenlampe in einer braunen Papiertüte, in deren goldbraunem Rembrandtschimmer die sechs Männer nun auf dem Orientteppich lagerten, den Gary bei der Scheidung von seiner Frau bekommen hatte.
Rogers Kopf lag in Garys Schoß, und Gary benutzte die Kühlbox als Rückenlehne. Douglas und Paul stöberten im hinteren Teil des Zelts in einem Stapel Kassetten. Ned gab dem fleißigen Scotty eine Fußmassage mit Vaseline Intensive Care Lotion.
Es war ein charmantes, sympathisches Tableau, so seltsam altmodisch wie das Foto einer College-Footballmannschaft um die Jahrhundertwende: Schulter an Schulter, die Arme um die Hüften gelegt, jenes erste trauliche Stadium männlicher Kameraderie.
»Danke«, sagte Gary, als Michael hereinkam …
»Gern geschehen«, antwortete er.
Ned schaute von Scottys Füßen hoch. »Du bist schon ein bißchen braun, Bubba.«
»Was?« Michael drückte mit dem Finger auf seinen Bizeps. »Ich glaube, es liegt nur am Licht.«
»Nein«, versicherte ihm Gary, »sieht richtig gut aus.«
»Vielen Dank.« Er ließ sich auf dem freien Platz neben Ned und Scotty nieder.
Scotty betrachtete ihn mit einem seligen Schmunzeln. »Es ist noch Kraftfutter und Käse übrig, falls du Hunger hast.«
»Bloß nicht«, wehrte Michael ab.
Roger und Gary tauschten einen kurzen Blick, standen auf und staubten sich den Hosenboden ab. »Tja, Jungs«, sagte Roger, »es war ein langer Tag …«
»Ach je«, flötete Scotty, »unsere Neuvermählten verlassen uns.«
Rogers Verlegenheit ging einem ans Herz. Mit Schmerz
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