Stadtgeschichten - 04 - Tollivers Reisen
hatte, um ihren Körper wieder präsentabel zu machen, hatte sich in Seattle fast nichts geändert.
Fast nichts. Die Lesben, die in den sechziger und siebziger Jahren Neunkornbrot gebacken hatten, verdienten sich jetzt ihren Lebensunterhalt in Copyshops. Mona war eine von ihnen, doch die bizarre Umkrempelung der beruflichen Ziele gab ihr dieselben Rätsel auf wie den meisten ihrer Geschlechtsgenossinnen. »Vielleicht«, hatte sie einmal in einer seltenen Anwandlung von Humor zu einer Bekannten gesagt, »soll damit bewiesen werden, daß wir auch ohne Mitwirkung eines Mannes reproduzieren können.«
Sie wohnte auf dem Queen Anne Hill in einem sechsstöckigen Gebäude, dessen Backsteinfassade die Farbe von geronnenem Blut hatte. Sie arbeitete ein paar Ecken weiter in einem Copyshop names Kwik-Kopy, einem High-Tech-Rausch in verschiedenen Schattierungen von Grau. Weder das eine noch das andere trug nennenswert zu ihrem seelischen Gleichgewicht bei, aber wann hatte ihr das zum letztenmal Sorgen gemacht?
»Kopf hoch, Mo. So schlimm kann’s nicht sein«, meinte Serra, ihre Kollegin am Kopierer nebenan. Serra, die flotte junge Edelpunkerin.
»Ja? Meinst du?«
Serra betrachtete das gewaltige Manuskript, das sie gerade sortierte. »So grauenhaft kann’s gar nicht sein wie das hier.«
»Was ist es denn?« fragte sie.
»Zeit zum Fraun« ,antwortete Serra.
Sie verzog das Gesicht. »Wie ist denn das buchstabiert?«
»Na, rat mal«, sagte Serra. »Vielleicht sollten wir’s dem Guinness Book melden. Wenn ich mich nicht irre, ist es der dickste Lesbenwälzer seit Menschengedenken.«
»Was mit Sex drin?«
»Bis jetzt noch nicht«, sagte Serra. »Aber jede Menge gluckenhafter Pflegetrieb.«
»Gähn.«
»Eben. Und was hast du in Arbeit?«
»Was viel Schlimmeres«, sagte Mona. »Die Schwuchtel vom Ritz Café wird dreißig und schmeißt ’ne Party.«
»Einladungen?«
»In Form einer Xeroxcollage. Mit einem reizenden Foto von seinem Schwanz und ein paar alten Standfotos aus I Love Lucy. Er hat einen zweiten Durchlauf verlangt.«
»Typisch.«
»Der Schwanz ist zu orange, und Lucys Haare sind zu grün. Oder umgekehrt. Scheiße, wen juckt’s? Als wär das Kunst.«
Serra lachte, doch ihr Blick war besorgt. »Du muß mal ’n Tag ausspannen, Mo.«
Mona schaute wieder auf ihre Arbeit. »Ich müßte mich trepanieren lassen.«
»Nein, Mo, im Ernst.« Serra verließ ihren Kopierer und kam zu ihr. »Du rackerst zuviel. Schon dich ein bißchen. Holly kann dir mal ein oder zwei Tage Luft lassen.«
»Schon möglich«, gab Mona zurück. »Aber Dr. Sheldon nicht.«
»Wer?«
»Dr. Barry R. Sheldon, Zahnarzt, Capitol Hill. Behandelt mich wegen Periodontitis und will mir den Gaumen pfänden lassen.« Sie lächelte resigniert. »In diesem Augenblick, Frollein.«
In Serras Mitgefühl schien sich Verlegenheit zu mischen. »Oh … na, wenn ich dir was leihen kann …«
»Das ist nett von dir.« Sie drückte Serras Hand. »Aber das Problem ist ein bißchen ernster.«
»Oh.«
»Eigentlich brauch ich mehr Überstunden.«
»Ich hab halt gedacht … ein bißchen Abwechslung tut dir gut.«
»Das siehst du richtig«, sagte Mona. »Du hast ’n Papierstau.«
»Scheiße«, murmelte Serra und rannte an ihren Platz zurück. Mittags bestand sie darauf, Mona zum Lunch einzuladen – im Ritz Café, einer perfekten Kulisse für Serras adretten Kristy-McNichol-Kurzhaarschnitt. Sie bestellten Pernod Stingers. Serra hob ihr Glas und stieß mit ihrer Kollegin auf gute Besserung an.
»Es wird wieder«, sagte sie mit Nachdruck. »Echt.«
»Das sagst du, weil du erst dreiundzwanzig bist«, war Monas Antwort.
»Ist mit siebenunddreißig alles so anders?«
»Achtunddreißig. Und es ist kein bißchen anders. Bloß schwerer zu nehmen.«
»Kann ich mir nicht vorstellen«, meinte Serra.
Mona machte ein Gesicht. »In fünfzehn Jahren sprechen wir uns wieder. Schwänze kopieren ist mit dreiundzwanzig noch erträglich. Mit achtunddreißig nicht mehr. Verlaß dich drauf. Ich mach dir nichts vor.«
Serra schien etwas zu überlegen.
»Was ist?« fragte Mona.
»Nichts. Noch nicht.«
»Also, entschuldige mal …«
»Bloß so eine Idee.«
»Komm schon«, sagte Mona. »Raus damit.«
»Ich kann’s dir nicht sagen. Ich muß erst sehn, ob es geht.« Sie nippte an ihrem Glas und setzte es plötzlich ab. »O Gott!«
»Was?«
»Rat mal, wer unser Kellner ist?«
Der Kellner erkannte Mona auf Anhieb. »Oh, hallo! Die Einladungen sehen fabelhaft
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