Stadtgeschichten - 04 - Tollivers Reisen
aus!«
Sie schenkte ihm ein dünnes Lächeln. »Freut mich, daß sie dir gefallen.«
Nach der Mittagspause bekamen sie einen Eilauftrag für fünfhundert Handzettel mit der Ankündigung eines »British Lunch« zu Ehren der Britannia, die im Hafen von Seattle eingetroffen war. Mit finsterer Miene betrachtete Mona die Vorlage – Königin Elizabeth mit der Sprechblase »Mmmh! Knackwurst!«. Sie schaute hoch und funkelte den Kunden an.
»Kann mir vielleicht mal jemand erklären, warum sich bei den Schwulen in Seattle alles bloß noch um diese Frau dreht?«
Der Kunde prallte zurück, als hätte sie ihn geohrfeigt. »Was ist denn? Macht ihr hier Zensur?«
Sie warf einen ungeduldigen Blick auf die Wanduhr. »Das soll wohl heute noch fertig werden, hm?«
Der Mann ließ sich seine Verärgerung anmerken, und sie konnte ihn durchaus verstehen. Sie war jederzeit selbstkritisch genug, um genau zu wissen, wann ihr Benehmen biestig wurde. »Hören Sie«, sagte er, »es reicht bis morgen. Und ich hatte auch einen anstrengenden Tag … also machen Sie halblang, ja?«
»Kann ich helfen?« intervenierte Serra so liebenswürdig wie möglich.
Mona spürte, wie sie rot anlief. »Kein Problem. Ich fülle nur die …«
»Geh nach Hause, Mo.« Serra faßte sie zart am Arm. »Ich mach das schon.«
»Bist du sicher?« Sie kam sich wie ein richtiger Unmensch vor.
»Du hast es verdient«, sagte Serra. »Na los. Zisch ab.« Also machte Mona, daß sie wegkam. Auf dem Heimweg ging sie kurz in den S & M Market, erstand Thunfisch und Waschmittel und bezahlte mit einem ungedeckten Scheck. Es hatte eine Zeit gegeben – vor drei Jahren, um genau zu sein –, da hatte sie über einen S & M-Supermarkt noch herzhaft lachen können. Damals hatte sie sich vorgenommen, mal mit Mouse in so ein Ding zu gehen, falls er je nach Seattle kam.
Doch Mouse war nie gekommen, um die Ironie im Namen ihres Supermarkts an der Ecke war genauso verblaßt wie ihre kalifornische Bräune. Sie hatten sich nach und nach entfremdet, und sie war nicht einmal sicher, an wem es lag. Inzwischen war der Gedanke an ein Wiedersehen bestenfalls peinlich und im schlimmsten Fall ein Horror.
Trotzdem fragte sie sich unwillkürlich, ob es Mouse gutging. Hatte er jemanden gefunden, der ihn ab und zu in den Arm nahm? Würde er sie immer noch Babycakes nennen, wenn sie sich wieder einmal begegneten? Drei- oder viermal hätte sie ihn fast angerufen – unter der Wirkung des Percodan von ihrem Zahnarzt –, aber sie wollte nicht, daß er sie bemitleidete, weil ihr Leben eine einzige Pleite war.
Zu Hause wurde sie in der Eingangshalle von ihrer Wohnungsnachbarin abgefangen. »Ach, Gott sei Dank, Mona! Gott sei Dank!« Die alte Mrs. Guttenberg war völlig aufgelöst.
»Was ist denn?« fragte Mona.
»Der alte Pete, das arme Ding. Er liegt in der Gasse hinterm Haus.«
»Sie meinen, er ist …?«
»So ein blöder Kerl hat ihn überfahren. Ich konnte keine Menschenseele finden, die mir hilft, Mona. Ich hab eine Decke über ihn gelegt, aber ich glaube nicht … Ach, der Ärmste … das hat er nicht verdient.«
Mona rannte nach hinten in die Gasse, wo der Hund regungslos im Nieselregen lag. Nur sein Kopf schaute unter der Decke hervor. Mit einem verschleimten Auge sah er zu Mona hoch und blinzelte. Sie kniete nieder und legte ihm behutsam die Hand auf die grau beharrte Schnauze. Er brachte nur einen schwachen Laut heraus.
Sie sah zu Mrs. Guttenberg hoch. »Er gehört hier keinem, nicht?«
Die alte Dame preßte die Fingerspitzen an die Kehle und schüttelte den Kopf. »Wir füttern ihn alle. Er ist schon mindestens zehn Jahre hier … oder zwölf. Mona, man muß ihn von seinem Leiden erlösen.«
Mona nickte.
»Könnten Sie ihn zum Tierheim fahren? Es sind nur ein paar Blocks.«
»Ich habe kein Auto, Mrs. Guttenberg.«
»Sie könnten ihn schieben.«
Mona richtete sich auf. »Schieben?«
»In dem Einkaufswagen, mit dem ich zu S & M gehe.«
Und so machten sie es. Mona hob Pete mit Hilfe der Decke in Mrs. Guttenbergs Einkaufswagen und schob ihn die sechs Blocks zum Tierheim. Ein Angestellter sagte ihr, dem Hund sei nicht mehr zu helfen. »Es wird bald zu Ende sein«, sagte er. »Wollen Sie ihn wieder mitnehmen?«
Mona schüttelte den Kopf. »Er gehört nicht mir. Ich weiß nicht, wo ich ihn … nein … nein danke.«
»Wir berechnen eine Abgabegebühr von zehn Dollar.«
Eine Abgabegebühr. Als hätte man das nicht auch anders nennen können.
»Ist gut.« Sie spürte, daß
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