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Stadtgeschichten - 04 - Tollivers Reisen

Stadtgeschichten - 04 - Tollivers Reisen

Titel: Stadtgeschichten - 04 - Tollivers Reisen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Armistead Maupin
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Küchenutensilien sah es auch sehr dürftig aus.
    Als erstes würde er Cornflakes und Milch, Brot und Erdnußbutter einkaufen. Aber frühestens morgen. Heute abend wollte er sich in der Nähe einen Pub suchen, in dem es schottische Eier und Fleischpasteten gab, und sich so gründlich besaufen, wie es die Situation erforderte.
    Er ging zurück ins Schlafzimmer und beschloß, seinem Einzug eine offizielle Komponente zu geben, indem er seinen Koffer auspackte. Als er damit fertig war, fielen ihm Simons Instruktionen ein, die in der Seitentasche steckten. Er setzte sich aufs Bett und las:
     
    Michael,
    Ich habe mir gedacht, du kannst vielleicht ein paar Ratschläge gebrauchen, um mit den zahlreichen geheimnisvollen Tücken von Colville Crescent 44 fertig zu werden. Mit dem heißen Wasser (bzw. Ausbleiben desselben) hat man leider einigen Verdruß. Falls der Boiler Ärger macht – er hängt in der Nische zwischen Küche und Bad. (Bei ernsten Schwierigkeiten solltest du dich an Mr. Nigel Pearl wenden, einen Klempner in Shepherd’s Bush. Seine Telefonnummer steht auf einem Zettel an der Kühlschranktür.)
    Die automatische Abschaltung des Plattenspielers schaltet nicht automatisch ab. Die Zentralheizung ist in dieser Jahreszeit abgestellt. Ich glaube kaum, daß du sie brauchen wirst. Ein extra Duvet findest du in der untersten Schublade der Kommode im Schlafzimmer. Das Bett, wie dir inzwischen aufgefallen sein wird, ruht an einer Ecke auf meiner beträchtlichen Sammlung von Tatlers. Zu was anderem taugen die Dinger auch nicht.
    Für Grundnahrungsmittel empfehle ich Europa Foods in der Notting Hill Gate. Toilettenartikel bekommst du bei Boots the Chemist (in eurer romantisch-kolonialen Ausdrucksweise heißen die Dinger »Drugstore«). Wegen richtiger Drogen wendest du dich an einen der schwarzen Gentlemen in der All Saints Road, aber geh da bitte unter keinen Umständen nachts hin. Ihr Gras kann es mit dem Edelgewächs von Humboldt County nicht aufnehmen, aber wenn du ein bißchen Haschisch hineinkrümelst, wirkt es ganz gut.
    Der Gaskocher in der Küche dürfte kein Problem machen. Abfälle kommen in den Behälter unter der Spüle; dort findest du auch Möbelpolitur, Eimer, Kehrichtschaufel usw. sowie den Haupthahn für das Wasser. Im Falle einer Überschwemmung drehst du den Hahn einfach im Uhrzeigersinn zu, und die Wasserzufuhr ist unterbrochen.
    Launderette (Waschsalon) und chemische Reinigung sind um die Ecke, an der Kreuzung von Westbourne Grove und Ledbury Road. Das Electric Cinema in der Portobello Road zeigt gute alte Filme, falls dir Streifen wie Glen und Glenda (mein Lieblingsfilm) und Jessie-Matthews-Retrospektiven liegen.
    Eine Miss Treves (bei mir heißt sie Nanny Treves) wird von Zeit zu Zeit vorbeischauen und nach dem rechten sehen. Bitte stell dich ihr vor und sag ihr, daß du ein Freund von mir bist. Wenn sie dich nach meiner eigenmächtigen Abmusterung fragt (und ich versichere dir, sie wird dich danach fragen), tu dir keinen Zwang an und erzähle ihr, was du weißt; und sage ihr, daß ich kurz nach Ostern wieder nach Hause komme. Ich werde ihr die schauerlichen Einzelheiten in einem Brief mitteilen. Miss Treves arbeitet inzwischen als Maniküre, war aber viele Jahre lang mein Kindermädchen. Seit ich ihr einmal (mit sechs) im British Museum davongelaufen bin, ist sie ständig in Sorge um mich; es kann also sein, daß sie ein wenig durcheinander ist. Das ist alles, was du über sie wissen mußt, bis auf das Offensichtliche – was du gewiß mit deinem gewohnten Maß an Takt und Ritterlichkeit bewältigen wirst. London gehört dir.
    Simon
     
    Die Mitteilung, in krakeliger Handschrift auf dünnes blaues Papier gekritzelt, gab Michael das beruhigende Gefühl, daß noch jemand bei ihm in der Wohnung war. Er konnte, während er las, beinahe Simons Stimme hören. Genaugenommen, fand er, war die Wohnung gar nicht so schlimm. Im Grunde brauchte er nichts weiter als eine Ausgangsbasis für seine Streifzüge durch die Stadt.
    Aber was war das »Offensichtliche«, das er an Simons ehemaligem Kindermädchen demnächst entdecken sollte?
    Und was, zum Teufel, war ein »Duvet«?
    Um die Antwort auf die einfachere der beiden Fragen zu finden, zog er die unterste Schublade der Kommode auf. Dort lag, vom häufigen Waschen verblichen und zerschlissen, eine Steppdecke. Wie eine Hausfrau in einem Werbespot für Weichspüler hielt er sie sich einen Augenblick an die Wange und empfand ein unerklärliches Gefühl für das

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