Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Stadtgeschichten - 04 - Tollivers Reisen

Stadtgeschichten - 04 - Tollivers Reisen

Titel: Stadtgeschichten - 04 - Tollivers Reisen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Armistead Maupin
Vom Netzwerk:
nicht.«
    »Ich möchte nicht, daß sie sich … weißt du … gedrängt fühlt.«
    »Ich verstehe.«
    »Che sera, sera … du weißt schon.«
    »Mmm.«
    »Übrigens, du kannst jederzeit gern das Fernsehzimmer benutzen, wenn du Lust hast.«
    »Vielen Dank. Äh … wo ist das?«
    »Auf dem Dach. Einfach die Treppe ganz rauf. Alle im Haus benutzen es.«
    »Prima.«
    »Ich zeig dir, wie der Videorecorder geht. Macht dir vielleicht Spaß. Ich hab Debbie Does Dallas. «
    »Wie bitte?«
    »Das ist ein Pornofilm.«
    »Ah.«
    »Ich komm nicht viel dazu, ihn anzusehen … nur, wenn Mary Ann zu Dreharbeiten unterwegs ist. Dann schieb ich ihn ein und … nehm den alten Zyklopen in die Mangel.«
    Ein Lächeln glitt langsam über Simons Gesicht. »Du meinst … du bimst den Bischof?«
    Brian grinste. »Du kapierst schnell.«

Fata Morgana
    Als Schüler hatte Michael an einem Austauschprogramm teilgenommen, und die English-Speaking Union hatte ihn in London an eine Familie in Hampstead vermittelt. Die Mainwarings waren kinderlos und umsorgten ihn wie einen Sohn. Sie gingen mit ihm in die Theater im West End, fütterten ihn zur Teestunde mit Gebäck und hielten immer die englische Orangenmarmelade vorrätig, die er am liebsten aß.
    Er hatte schon vor Jahren den Kontakt zu diesen Leuten verloren und fragte sich jetzt, ob sie noch immer in dem gemütlichen kleinen Haus in einer Seitenstraße des New End Square vor ihrem geliebten Fernseher saßen. Auch wenn sie nicht mehr da waren – der Gedanke an ein Wiedersehen mit Hampstead war wunderbar und aufregend. Die Rückkehr an einen Ort, wo man einmal gewohnt hatte, war immer etwas Besonderes.
    Er verließ Simons Haus und ging zwischen den Verkaufsständen auf der Portobello Road hinunter zum angeschmuddelten Geschäftszentrum von Notting Hill Gate. Unter dem vertrauten Zeichen der London Underground – roter Kreis mit blauem Querbalken – hindurch ging es vom Bürgersteig die Treppe runter zur U-Bahn. An einem Fahrkartenautomaten, zu dessen Streckenabschnitten Hampstead gehörte, warf er die nötigen Münzen ein.
    Eine Rolltreppe brachte ihn hinab zum Bahnsteig der Central Line, wo er einen Zug in östlicher Richtung nahm. An der Tottenham Court Road mußte er umsteigen und steuerte so kennerisch wie möglich den Bahnsteig der Northern Line an. Dort warnte ihn eine alte Erinnerung, daß er nach Hampstead den Edgware-Zug und nicht den High Barnet nehmen mußte.
    Es machte Spaß, die alten Eindrücke wiederzubeleben. Die klassische Einfachheit des Streckenplans mit seinem geometrischen Muster aus verschiedenfarbigen Arterien. Der warme, schale Wind, der durch die kremfarben und grün gekachelten Fußgängertunnel fegte. Die Fahrgäste – vom Skinhead bis zum Nadelstreifen –, alle mit der gleichen Maske von gelangweiltem und würdevollem Mißbehagen.
    Als er in Hampstead ausstieg, wurde sein weiterer Weg vorgezeichnet durch ein Schild mit der Aufschrift WAY OUT, was er weit edler fand als das nichtssagende amerikanische EXIT. Hampstead war der höchstgelegene Londoner Stadtteil, und die Fahrt mit dem Lift zur Straße war die längste in der Stadt. Der Aufzug war ein ächzendes Jugendstilmonster mit einer Tonbandstimme, die so dumpf und brüchig klang (»Bitte von der Tür zurücktreten«), als gehörte sie einem hier in der Kabine heimischen Gespenst. Er erinnerte sich, daß er diese Stimme von früher kannte, und sie gab ihm einen ersten wohligen Schauer von Déjà-vu.
    Die Straßen des Viertels waren zum Glück unverändert, trotz der rapiden Zunahme von Fast-food-Lokalen und malvenfarbenen Frisiersalons mit viel Chrom, die sich auf »Haar Design« spezialisiert hatten. Er schlenderte auf dem roten Ziegelpflaster der Hauptstraße entlang, bis er den wuchtigen Backsteinbau des Hospitals erreichte, hinter dem eine Seitenstraße zum New End Square führte.
    Vier Minuten später blieb er unschlüssig vor dem Haus stehen, in dem er 1967 drei Monate gewohnt hatte. Die Chintzvorhänge, die einst das Wohnzimmer vor den Blicken der Passanten geschützt hatten, waren durch Levolors ersetzt. Wohnte hier jetzt ein Schwuler? Hatten sich die Mainwarings in eine charakterlose Eigentumswohnung in einem der »Wohnparks« in den Vororten zurückgezogen? Würde er die Veränderungen – wie immer sie aussehen mochten – ertragen können? Wollte er es überhaupt so genau wissen?
    Nein, eigentlich nicht. Er ging zur Hauptstraße zurück und aß einen Happen in einem der neuen, auf amerikanisch

Weitere Kostenlose Bücher