Stadtgeschichten - 04 - Tollivers Reisen
doch der Name hielt sich trotzdem. Als er irgendwann in der Times gelesen hatte, daß der Orden der Barden, Seher und Druiden dort sein Mitsommernachtsritual abhielt, war er einmal um Mitternacht hingegangen, um es sich anzusehen. Seine gespannte Vorfreude hatte sich wie Ektoplasma in Nichts aufgelöst, als er mit eigenen Augen sah, daß die »Druiden« Bankangestellte in Leintüchern und Omas mit Schmetterlingsbrillen waren.
Als auch diese Erinnerung wieder verblaßte, setzte er sich ins Gras und ließ sich die Sonne ins Gesicht scheinen. Fünfzig Schritte unterhalb der Stelle, wo er saß, fuhr langsam eine große schwarze Limousine durch den Park und hielt an. Eine Frau stieg aus – blonde Haare, weiße Bluse, halblanger grauer Rock –, eine auffallende Erscheinung vor dem Hintergrund der weiten grünen Parklandschaft. Sie sah sich nach allen Richtungen um.
Eine Weile beobachtete er sie eher beiläufig. Plötzlich sprang er auf, und die widersprüchlichsten Bilder schossen ihm durch den Kopf.
»Mona!« schrie er.
Die Frau wandte ruckartig den Kopf, um zu sehen, woher die Stimme kam.
»Ich bin’s, Mona! Mouse! «
Die Frau erstarrte. Dann machte sie auf dem Absatz kehrt und stieg wieder ein.
Die Limousine verschwand in rascher Fahrt zwischen den Bäumen.
Ganz unter uns
Nach der Sendung war über Simon eine wahre Publicityschwemme hereingebrochen, und Mary Ann machte sich langsam Sorgen, ob das alles für ihn nicht ein bißchen zuviel war. Er schien sich ganz wohl zu fühlen, aber er war ein komischer Vogel, und es war ihr oft schleierhaft, was er wirklich dachte. Sie wollte auf jeden Fall vermeiden, daß er zu ihr auf Distanz ging.
Als das Wochenende kam, wartete sie den richtigen Moment ab (als Brian zum Waschsalon ging), um den Engländer einzuladen, sie auf ihrer Einkaufstour durch North Beach zu begleiten. Nach einer halben Stunde hatte sie nichts als ein Pfund eingelegte Pilze von Molinari’s vorzuweisen.
»Und das ist dein ganzer Einkauf für eine Woche?« fragte Simon, als sie die Columbus Avenue zum Washington Square hinaufgingen.
Sie lachte und gestand ihm die Wahrheit: »Ich hab nur einen Vorwand gesucht, um aus dem Haus zu kommen. In letzter Zeit fällt mir die Decke auf den Kopf.«
»Wollen wir einen Spaziergang machen?« fragte er.
»Ja, prima.«
»Wohin? Sie sind hier zu Hause, Madam.«
Sie schmunzelte. Es gefiel ihr, wenn er sie Madam nannte. »Ich weiß genau das Richtige«, sagte sie.
Sie ging mit ihm die Union Street zum Telegraph Hill hinauf, dann auf der Montgomery hinunter bis zu den Filbert Steps. »Direkt über uns«, erklärte sie ihm, »ist das Penthouse von Lauren Bacall in Das unbekannte Gesicht. «
Er verrenkte seinen muskulösen Patrizierhals. »Tatsächlich?«
»Das, wo Bogart die Gesichtsoperation hat, nach der er wie Bogart aussieht. Erinnerst du dich?«
»Aber natürlich«, antwortete er.
»Meine Freundin DeDe hat mal da gewohnt.«
»Ah. Muß ich sie kennen?«
»Die Frau, die aus Guyana entkommen ist.«
»Aha.«
Sie ging mit ihm die hölzerne Stiege hinunter, blieb auf halber Höhe stehen, wedelte eine Stufe sauber und setzte sich.
»Ganz wie in der Barbary Lane«, sagte er und setzte sich zu ihr.
Sie nickte. »Solche Stiegen gibt’s in der ganzen Stadt. Technisch gesehen sind es Straßen.«
»Der Garten ist eine Pracht.«
»Den hat nicht die Stadt angelegt«, sagte sie. »Wir verdanken ihn einer wunderbaren alten Dame. Früher lag hier alles voll Müll. Sie war Stuntfrau in Hollywood, und dann ist sie hierher gezogen und hat den Garten angepflanzt. Im Volksmund heißt er nur Grace’s Garden. Sie ist kurz vor Weihnachten gestorben. Ihre Asche wurde bei der Statue da vorne beigesetzt.«
Ein amüsiertes Lächeln huschte über sein Gesicht. »Dein Fundus an Stadtgeschichten ist unerschöpflich.«
»Ich hab eine Story über sie gemacht«, erklärte sie.
»Verstehe«, sagte er mit leicht spöttischem Unterton. »Machst du über alle, die du kennst, eine Story?«
Sie zögerte. Was wollte er mit der Frage andeuten? »War es dir zuviel?« fragte sie schließlich.
»Nein, überhaupt nicht.« Sein Lächeln schien aufrichtig.
»Das hoffe ich.«
»Es erstaunt mich,daß es so eine Reaktion gegeben hat. Aber unangenehm war es mir nicht.«
»Gut.«
»Hauptsache, du verrätst deinen Journalistenkollegen nicht, wo ich mich aufhalte.«
»Keine Sorge«, sagte sie. »Ich will dich ganz für mich.«
Er lächelte wieder, bog einen Zweig mit einer großen Blüte
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