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Stadtgeschichten - 04 - Tollivers Reisen

Stadtgeschichten - 04 - Tollivers Reisen

Titel: Stadtgeschichten - 04 - Tollivers Reisen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Armistead Maupin
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sagt man dazu.«
    Sie zögerte ein wenig, bevor sie ihn fragte: »Warum hast du mich Mo genannt?«
    Er zog die Schultern hoch. »Weiß nicht.«
    »Hat Mouse mich so genannt?«
    »Mouse?«
    »Michael«, verbesserte sie sich.
    »Oh … nein. Mo ist meine Idee.«
    Sie mußte lächeln. »Du kennst mich erst einen halben Tag.«
    Er legte den Kopf schräg und sah sie an. »Na und? Ich denk mir für alles Namen aus.«
    »Oh.« Sie war gerührt, daß sie in der Welt dieses Jungen schon einen festen Platz hatte. »Hast du Lust auf einen Spaziergang?«
    »Klar.«
    »Prima.« Sie wies auf die Stallungen. »Gehn wir in die Richtung. Ach … ich hab ja ganz vergessen, daß du noch nicht gefrühstückt hast.«
    »Macht doch nichts«, sagte er.
    »Ich mach dir später was. In Ordnung?«
    »Super.«
    Sie gingen nebeneinander durch die duftenden Spaliere des Ziergartens. Schließlich fragte sie: »Hat dir Michael was von mir erzählt?«
    »Ein bißchen«, antwortete er.
    »Zum Beispiel?«
    »Na … er hat gesagt, ich würde dich mögen.«
    Das schmerzte ein wenig. Sie fand, daß sie sich alles andere als liebenswert benommen hatte. »Ich bin sonst nicht so«, sagte sie.
    Der Junge nickte. »Das hat er mir auch gesagt.«
    Sie sah ihn von der Seite an.
    »Er hat gesagt, daß du sonst ’ne andere Haarfarbe hast und daß du eigentlich ’ne ganz patente normale Lesbe bist.«
    Sie kam aus dem Tritt und blieb stehen. »Das hat er gesagt?«
    »Mhm.«
    »Tja …« Sie ging weiter. »In letzter Zeit war ich gar nicht so normal.«
    »Du meinst … du hast mit Männern geschlafen?«
    »Gott nee. Ich meine … nicht so militant.«
    Der Junge sah sie fragend an.
    »Das sagt dir nichts, hm?«
    Er schüttelte den Kopf.
    »Muß schön sein, so hinterm Mond zu leben.«
    »Wie?« Er bekam es anscheinend in den falschen Hals.
    »Ich wollte sagen … du hast wohl nicht viel mitgekriegt von der Scheiße, die bei uns in den Staaten läuft. Da drüben ist es anders als hier.«
    »Hm, ich weiß nicht …«
    »Doch. Kannst mir glauben. Wie alt bist du?«
    »Sechzehn.«
    »Herrje.«
    Er machte ein Gesicht. »Das hat er auch gesagt. Sechzehn ist gar nicht mehr so wahnsinnig jung.«
    »Na gut. Wenn du meinst.«
    »Stimmt doch.«
    Sie pflückte ein Blatt von einem Strauch. »Du und Michael … habt ihr …?«
    Er sprach es für sie aus. »Ob wir’s miteinander treiben?«
    Sie lachte in sich hinein. »Ja.«
    »Er will nicht«, sagte Wilfred. »Glaub mir, ich hab mein Bestes getan.«
    Sie lächelte ihn mitfühlend an. »Manchmal wird man nicht aus ihm schlau.«
    Der Junge schaute vor sich hin und nickte. »Stimmt.«
    »Nimm es nicht persönlich.«
    »Tu ich auch nicht«, sagte er.
    Sie blieb stehen und sah hinauf zu dem Pavillon auf dem Hügel. Es roch nach Hyazinthen, feuchter Erde und dem warmen Moschus der Hecken. Am wolkenlosen blauen Himmel flogen Schwalben im Zickzack hin und her. »Ich will hier nicht weg«, sagte sie.
    »Wann mußt du?« fragte er.
    »Übermorgen.«
    »Wie lange warst du hier?«
    »Ach … fast drei Wochen. Zwischendurch war ich ab und zu in London.«
    Er nickte. »Da haben wir dich gesehen.«
    »Du warst mit im Park an dem Tag?«
    »Nee. Bei Harrods. Als du den Schlafanzug gekauft hast.«
    Sie war entgeistert. »Ihr wart da?«
    Er nickte vergnügt. »Ich bin dir zum Beauchamp Place nachgegangen. Wo du das Kleid gekauft hast.«
    Sie schüttelte fassungslos den Kopf.
    »Das Kleid, das sie dir bis Ostern schicken sollen.« Er strahlte wie ein kleiner Teufel nach einem gelungenen Streich.
    Einen Augenblick war sie sprachlos. Dann sagte sie mit einem tadelnden Blick: »Du bist ja gemeingefährlich.«
    Er lachte.
    »Und auf diese Tour seid ihr an die Adresse gekommen.«
    Er nickte stolz.
    »Hat Michael gesagt, wie er … das hier findet?«
    Er zuckte mit den Schultern. »Er weiß nicht, was du hier machst.«
    »Und du?«
    »Ich auch nicht. Er denkt, es ist was, was dir peinlich ist.«
    »Es ist nichts, was einem peinlich sein muß«, sagte sie einigermaßen kleinlaut. »Und hör auf, meine Haare anzustarren.«
    »Tu ich ja gar nicht.«
    »Doch.«
    »Ich hab mich gefragt … weißt du … wie sie wirklich aussehen.«
    »Na, im Moment sehn sie wirklich so aus«, sagte sie eingeschnappt.
    »Schon gut.«
    »Ich hab sie mir bloß gefärbt … für den Job hier. Ich wollte mal was anderes, und da war mir der Vorwand grade recht.«
    Er nickte.
    »Sie sehn beschissen aus, nicht?«
    Erneutes Nicken.
    »Deine Offenheit ist erfrischend«, sagte sie

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