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Stadtgeschichten - 04 - Tollivers Reisen

Stadtgeschichten - 04 - Tollivers Reisen

Titel: Stadtgeschichten - 04 - Tollivers Reisen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Armistead Maupin
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finster.

Eine Theorie
    Es war inzwischen der dritte oder vierte Ausflug in den Vorführraum.
    »Mein Appetit ist futsch«, sagte Brian.
    Theresa beugte sich über den Spiegel und häckselte drauflos. »Darum hat man Sushi erfunden. Und nach Beverly Hills importiert. Hier … die da ist für Sie.« Ihr blutroter Fingernagel wies ihm den Weg ins Nirwana.
    Brian zog es sich in die Nase.
    »Da draußen lichten sich die Reihen«, sagte sie. »Gott sei Dank.«
    »Ist schon Ostern?«
    Sie verdrehte die Augen. »Seit zwei Stunden schon. Wo sind Sie denn gewesen?«
    »Na ja … kein Mensch hat auf ’ner Tröte geblasen oder ein buntes Hütchen aufgesetzt.«
    »Mhm.« Sie nahm ihm den gerollten Geldschein aus der Hand.
    »Wie viele bleiben über Nacht?« fragte er.
    »Ach … fünf oder sechs, nehme ich an. Mehr will ich morgen zum Brunch auch nicht um mich haben. Arch und seine neue Indiskretion. Die Stonecyphers. Binky Gruen vielleicht. Und Sie. Ich weiß nicht … wir werden sehen.«
    »Und der mit dem Bart?«
    Theresa sniefte eine Linie. »Was? Wer? Ach … Bernie Pastorini?«
    »Ja. Wenn er so heißt.«
    »Ich weiß nicht, ob er bleibt oder nicht. Was ist mit ihm?«
    »Nichts. Ich hab mich bloß gefragt …«
    »Was?«
    »Na ja … er wollte irgendwas mit mir reden. Maximal … äh … was weiß ich. Hab’s nicht kapiert.«
    »Oh … Maxi-Male?«
    »Was ist das?«
    »Sein Kurs für männliches Selbstbewußtsein.«
    »Wie bitte?«
    »Tja … die Theorie dahinter ist, daß manche Männer durch den Feminismus und die Friedensbewegung zu Schlappschwänzen geworden sind … darum kriegen sie beigebracht, wieder aggressiv zu sein.« Sie schob ihm den Spiegel hin. »Nehmen Sie noch.«
    »Nein danke.«
    »Na los!«
    Widerstrebend tat er ihr den Gefallen. »Ist das … äh … ernst zu nehmen?«
    »Bei dreihundert Dollar pro Kopf? Und ob! Er scheffelt Geld wie Werner Erhard in seinen besten Zeiten.«
    »Meine Güte.«
    »Ich kann’s verstehen«, meinte sie schulterzuckend. »Ich kenn allerhand von der Sorte.«
    »Von welcher Sorte?«
    »Softies. So nennen sie die.«
    »Was stellen sie mit ihnen an?«
    »Was weiß ich. Trampen durch die Wildnis … Überlebenstraining, lauter solche Sachen. Bißchen Aikido gibt’s auch, glaub ich. Und Hypnose.«
    Er fühlte sich allmählich auf den Schlips getreten. »Der Kerl denkt also, ich bin ein Schlappschwanz, ja?«
    Sie warf ihm einen Seitenblick zu. »Nehmen Sie’s nicht persönlich. Er keilt jeden damit. Außerdem kommt’s immer noch drauf an, was Sie von sich halten.«
    »Ist doch wirklich unglaublich.«
    »Nö, gar nicht.«
    »Ein Seminar für Typen mit Muschitrauma.«
    Sie warf ihre Mähne nach hinten und lachte schallend. »Also, den Ausdruck hab ich seit gut hundert Jahren nicht mehr gehört.«
    Er machte ein betretenes Gesicht. »Ich schätze, er ist wieder in Mode.«
    »Immer mit der Ruhe«, sagte sie. »Ich finde, bei Ihnen wär es rausgeschmissenes Geld.« Sie bekräftigte ihre Worte mit einem schmachtenden Blick. »Der verstorbene Mr. Cross dagegen, das war was anderes. Der war ein klassischer Fall.«
    »Von was?«
    »Softie.«
    »Wirklich?«
    Sie nickte. »Er war ja soooo eingestimmt auf seine Gefühle. Meine Güte. Manchmal fand ich es richtig zum Kotzen.«
    Es schmerzte ihn, sein Idol so herabgewürdigt zu sehen. »Ich hab ihn dafür bewundert«, sagte er.
    Sie zuckte mit den Schultern. »Ich schätze, es war gut für ’n paar hübsche Songs.«
    »War auch kein schlechter Kerl, der sie sang.«
    »Hör’n Sie mal«, sagte sie. »Sie waren nicht mit ihm verheiratet. Wie oft hab ich versucht, ihn zu einer energischen Reaktion zu provozieren, und er hat jedesmal gekniffen. Es gibt Zeiten, da will eine Frau … verstehn Sie … Autorität.«
    »Also marschieren wir wacker zurück in die fünfziger Jahre und schleifen unsere Frauen an den Haaren durch die Gegend, wie?«
    »Manchmal«, gab sie zurück, »ist genau das angesagt.«
    Er überlegte. »Wenn Männer heute Softies sind … dann deshalb, weil Frauen es so wollen.«
    »Ich kenne Ehen«, sagte sie mit einem matten Lächeln, »die an dieser falschen Annahme kaputtgegangen sind.«
    Er sah ihr in die Augen und fragte sich, was sie damit sagen wollte.
    »Natürlich«, fügte sie hinzu, »ist Ihre bestimmt eine Ausnahme.«

Ein Ort zum Verlieben
    Als Wilfred nicht zurückkam, verließ Michael sein Zimmer und durchstreifte den Flur auf der Suche nach einer Toilette. Die meisten Zimmer, an denen er vorbeikam, waren leer –

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