Stadtgeschichten - 04 - Tollivers Reisen
Monat sitze ich da unten an dem Tisch und kassiere Geld von den Dorfbewohnern. Ich wohne in zwei Zimmern … meistens in der Küche, weil man die heizen kann … und manchmal bekomme ich Geld, weil ich Leute mit Namen wie Gary und Shirley, die in Ausflugsbussen vor meine Tür gekarrt werden, zum Tee habe. Ich verbringe lange geruhsame Vormittage damit, die Fledermauskötel aus den Gästeschlafzimmern zu fegen und Moos vom Gemäuer zu rupfen, denn es kostet fünfhundert Pfund, einen einzigen der Ornamentblöcke am Wehrgang zu ersetzen, und das Moos frißt das Gebäude bei lebendigem Leib.«
Michael lächelte. »Das erzählen Sie hoffentlich nicht Ihren Kaufinteressenten.«
Der Lord lachte in sich hinein. »Ich habe schon einen Käufer.«
»Jemand aus Ihrem Bekanntenkreis?«
Er nickte. »Eine Frau, die ich schon seit Jahren kenne, und der gräßliche Mensch, den sie kürzlich geheiratet hat. Sie tönen bereits, daß sie dem Anwesen seinen früheren Glanz zurückgeben wollen.« Er schüttelte sich.
»Ich mag es, wie es ist«, sagte Michael. »Verwittert und ausgefranst.«
»Danke.«
»Ich meine es ehrlich.«
»Das merke ich.« Er legte die Stirn in Sorgenfalten. »Wäre es Ihnen sehr unangenehm, wenn ich Ihnen etwas zeige?«
»Nein«, sagte Michael, »natürlich nicht.«
Lord Roughton zögerte. Dann stellte er seine Tasse hin, knöpfte die Schlafanzugjacke auf und hielt sie auseinander. An seinen Brustwarzen baumelten ansehnliche goldene Tittenringe »Aha«, sagte Michael verlegen.
»Folsom Street«, sagte Lord Roughton.
»Tatsächlich.«
Der Lord schaute auf seine Ringe hinunter wie eine stolze Muttersau, die ihren Wurf beäugt. »Ich brauchte drei Glas Scotch, um mir Mut anzutrinken. Der Mann, der es gemacht hat, war Verkäufer in dem kleinen Geschäft über dem Ambush. Kennen Sie das?«
»Klar. Das ist zwar die Harrison Street. Aber egal.«
Lord Roughton ließ die Revers seines Schlafanzugs wieder los.
»Hübsche Arbeit«, fügte Michael aus Höflichkeit hinzu.
»Ich nehme an, für Sie ist das ein total alter Hut.« Er knöpfte die Jacke zu.
»Nein … Na ja, ich hab so was schon gesehen, aber … Es steht Ihnen gut, finde ich.« Der Mann gab Königin und Vaterland auf, um sich Schmuck an die Brustwarzen hängen zu können. Da konnte man ihm wenigstens ein kleines Kompliment machen.
Der Lord bedankte sich mit einem Nicken. »Das mit dem Pyjama ist ein bißchen feige, fürchte ich. Ich trage sonst keinen.«
»Ich war dabei, als Mona ihn gekauft hat.«
»Ach wirklich?«
Michael nickte. »Bei Harrods.«
»Was für ein Zufall.« Sein Kinn hing einen Augenblick herunter, dann straffte es sich wieder. »Auf jeden Fall … ich fand es besser, das Geschmeide zu verdecken, solange ich Gäste im Haus habe.«
»Sie meinen … es kommen noch welche?«
»Möglich, ja. Mummy und Daddy ganz bestimmt. Und Mummy hat die fürchterliche Angewohnheit, morgens in fremde Schlafzimmer hineinzuplatzen. Ich hoffe doch, Sie bleiben ein bißchen?«
»Na ja … Mona und ich haben eigentlich nicht …«
»Ach. Sie müssen noch bleiben. Das wird die ganze Sache erst richtig aufregend machen.«
Welche Sache? »Tja … vielen Dank, aber … mein Flug nach San Francisco geht in zwei Tagen.«
Lord Roughton war geschockt. »In zwei Tagen schon?«
»Ja, leider.«
»Ich kann es Ihnen nicht verdenken. Wenn ich mich mit einem Fingerschnipsen da rüberzaubern könnte …«
Sein Blick glitt sehnsüchtig durchs Fenster nach draußen.
Michael lächelte ihn an. »Wo werden Sie in San Francisco wohnen?«
»Bei Freunden«, sagte Lord Roughton. »Zwei reizende Jungs, die eine Wohnung in der Pine Street haben.« Er schenkte Michael noch etwas Tee nach und machte auch seine Tasse wieder voll. »Der eine ist Barkeeper im Arena. Der andere handelt mit homoerotischen Grußkarten.«
»Ich glaube, die kenne ich«, sagte Michael grinsend.
»Wirklich?«
»Nein, ich meine … als Typ.«
Der Lord wirkte etwas konfus.
»War nur ein Scherz«, sagte Michael lahm.
»Ah.«
Er schien ein wenig pikiert zu sein. Michael machte sich Vorwürfe. In Gegenwart eines Pilgers sollte man keine Scherze über das Heilige Land machen. »Wann haben Sie sich dazu entschlossen rüberzugehen?« fragte er schließlich.
Lord Roughtons Blick wurde wieder feurig. »Möchten Sie den genauen Zeitpunkt wissen?«
»Klar.«
»Es war … kurz vor Halloween, und ich war im Hot House. Kennen Sie das Hot House?«
»Selbstverständlich.«
»Ich war im Orgienraum.
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