Stadtmutanten (German Edition)
wenig kampferfahrener zu sein. Wir standen gerade zwischen zwei Häuserblocks im Ostfriesenviertel, als Eric und Marty sich ins Gebüsch verdrückten, um Pinkeln zu gehen. Ben war außer Hörweite. Nun trat Lila an mich heran und tippte mir sanft auf die Schulter. Als ich zu ihr hinüberschaute, lächelte sie.
»Du hast dich verändert«, sagte sie.
»Inwiefern?«
»Du bist bestimmender, dominanter.«
»Und?«
»Das gefällt mir. Es macht dich männlicher.«
»Danke.«
Soviel zum Thema, Lila würde von mir ablassen. Aber dem war nicht so. Frauen wollen verstanden und umsorgt werden. Aber abgesehen davon mögen sie eben auch richtige Männer. Und in mir konnte sie nun beides sehen: den sensiblen Frauenversteher und den echten Kerl. Ich würde sie niemals loswerden, wenn ich nicht bald Klartext mir ihr redete. Aber an diesem Abend war natürlich wie immer nicht der richtige Zeitpunkt dafür.
Die Eingangstür zum Karo war verschlossen, aber von innen drang das Geräusch von Punkrock. Ich legte mein Ohr an die Tür und vernahm die Stimmen von mehreren Leuten, die angeregt über irgendetwas diskutierten. Also klopften wir an die Tür. Die Musik verstummte und aus der angeregten Unterhaltung wurde ein leises Murmeln. Nach einiger Zeit öffnete sich die Tür und ein Koloss von Mann musterte uns kritisch durch die Öffnung. Er hatte eine Schnapsflasche als Waffe in der Hand. Hinter ihm hatten sich zwei Männer und eine Frau aufgebaut. Von hinten rief eine männliche Stimme.
»Und?«
Der Mann an der Türschwelle rief zurück: »Vier Typen und ein Mädchen. Scheinen OK zu sein.«
»Dann lass sie rein, verdammt!«
Er trat zur Seite und machte lächelnd eine einladende Geste.
»Ihr habt es gehört. Immer hereinspaziert.«
Die Meute hinter ihm entspannte sich ebenfalls. Die Frau erspähte Lila und machte vor Freude einen Luftsprung.
»Endlich! Du kommst wie gerufen. Jetzt muss ich mir die sexistischen Sprüche von den Jungs hier nicht mehr alleine anhören.«
Außer den Wächtern am Eingang waren noch zwei Personen in der Kneipe. Wir stellen uns gegenseitig vor. Ein Mann hieß Frank, der Türsteher wollte Mütze genannt werden, der Zwischenrufer hieß Georg, das Mädchen Gabi. Den Namen des anderen Wächters hatte ich eine Sekunde später wieder vergessen. Der letzte im Bunde wurde uns erst später vorgestellt. Wir setzten uns mit Ausnahme dieses einen an die Theke und tauschten beim Bier unsere Geschichten aus. Wir gaben zu Protokoll, dass wir uns in einem Mehrfamilienhaus verschanzten und einen Kiosk geplündert hatten. Unsere neuen Freunde hatten in den umliegenden Häusern eine Einbruchserie hingelegt. Wir erfuhren, dass die meisten Besucher des Karo Gestrandete waren, die aus anderen Stadtteilen kamen und bei der Evakuierung leer ausgegangen waren. So auch Gabi, die in der Nacht vor der Evakuierung bei ihrem Freund geschlafen hatte und mangels Alternative einfach ins Karo gegangen war, nachdem sie von ihm getrennt wurde. Sie erzählte, sie sei Studentin und arbeite hier seit wenigen Wochen als Thekenkraft. Nachdem sie sich hier einen Tag von Erdnüssen und Chips ernährt hatte, waren nach und nach die anderen eingetroffen.
»Und was ist mit ihm?«, fragte Ben und deutete auf den bisher noch nicht vorgestellten Mann, der im angrenzenden Kneipenraum saß. Er saß apathisch an einem kleinen Tisch, vor ihm ein Glas Schnaps.
»Das ist Florian«, lächelte Mütze, der offensichtlich sehnlich auf diesen Teil der Unterhaltung gewartet hatte, »er ist unser kleines Experiment.«
Ich schaute genauer hin. Florian war mit den Füßen an den Stuhl gefesselt. Seine Haut war ungesund gefärbt. Florian war ein Totenmann.
»Flori kam als letzter rein«, fuhr Mütze genüsslich fort, »er ist bei den Zeugen Jehovas und war in deren Königreichsaal, als es losging.«
Nun ging mir ein Licht auf. Der Königreichsaal von Jehovas Zeugen lag in meiner Nachbarschaft, gleich neben dem Park. Ich hatte den Mann mehrere Male im Park gesehen.
Mütze erzählte indes weiter: »Ihr wisst ja, wie die drauf sind, halten sich für die Auserwählten Gottes und so. Tja, und als der liebe Flori gebissen wurde und die Infektion begann, haben sie ihn rausgeschmissen. Nicht nur aus dem Haus. Ganz. Weil er jetzt einer der Verdammten ist. Tja, und seitdem ist er hier. Hat sich natürlich nicht lange gehalten und ist gleich am nächsten Tag krepiert. Aber Musik scheint ihn ruhig zu machen. Und nun sitzt er da.«
»Und was soll der Schnaps?«,
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