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Stahlhexen

Stahlhexen

Titel: Stahlhexen Kostenlos Bücher Online Lesen
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warmes Bier mit gemahlenen Mohnsamen darin, was damals hier das traditionelle Gebräu war. Granny hat gesagt, nach einer Weile hatten sie große, dunkle Augen und lallten beim Sprechen. Unsere Männer versuchten auszubrechen und stießen die Fässer um, aber die Männer des Hexenjägers hatten Messer mit großen, im Mondlicht schimmernden Klingen. Es ging schlecht aus. Zwei unserer Männer wurden getötet und die anderen rannten über die Wiesen weg.
    Vor dem Dorf war eine alte Grube, ein großes Loch, weil man dort Ton gegraben und Ziegel daraus gemacht hatte, das alte Gewerbe hier im Dorf. Die Grube gibt es auch heute noch, sie ist jetzt ein See, den wir den Deeping nennen. Damals wurden die Leichen der getöteten Männer mit Gewichten beschwert und in den Deeping gewälzt. Sie gingen sofort unter.
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Es hatte aufgehört zu schneien, doch im Laufe des Nachmittags wurde es wieder kälter. Die von Fußgängern hinterlassenen Spuren vereisten, und halb vom Dach gerutschter Schnee hing kantig oder zapfenartig vor den Ladenfronten herab.
    Fletcher ging durch die Straßen, die jetzt, um sechzehn Uhr, fast menschenleer dalagen. In King's Parade hoben sich die Türmchen und Zinnen des Colleges im Westen, wo ein rötlicher Schleier vom Sonnenuntergang kündete, schimmernd vom dunkler werdenden Abendhimmel ab. Fletcher ging durchs Zentrum von Cambridge, die Silver Street und an Mauern entlang, an denen Moos und Flechten zu metallisch glitzernden Eisgebilden erstarrt waren. In der Laundress Lane waren die Boote am Flussufer eingefroren. In einem hatten ein paar Enten Zuflucht gesucht und schliefen dort im Stehen. Das schwarze Wasser des Mill Pond lag still und spiegelglatt da. Dann ließ er die Colleges hinter sich und marschierte über einen Fußweg in ein Gebiet namens Coe Fen, wo der Fluss sich zwischen den Wiesen zu einem Netz von Kanälen und Gräben auffächerte: Überreste der historischen Sumpfentwässerungsanlagen. Als die Normannen vor tausend Jahren hierher kamen, hatten sie nichts als Pfahlsiedlungen in malariaverseuchten Sümpfen vorgefunden, deren Bewohner einem aus Mohnsamen gebrauten, opiumähnlichen Getränk verfallen waren. Einen Moment lang fühlte sich Fletcher an diesem Winternachmittag in dieser Gegend genau am richtigen Ort: ein menschenleeres, stilles weißes Delta vor einem Horizont, an dem die Sonne unter einer Wolkenbank feurig versank.
    In solchen Momenten dachte Fletcher an seine Eltern.
    Über ihm zogen zwei tief fliegende Gänse durch den stillen Himmel. Zweimal riefen sie nacheinander, und die Schreie hallten weit über den Schnee.
     

Montagabend
    Daisy Seager wohnte in Newnham in einer Straße mit kleinen Reihenhäusern noch aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg. Die winzigen Vorgärten lagen unter einer dicken Schneeschicht, die im Spätnachmittagslicht eher grau als weiß wirkte. Im Erdgeschoss ihres Hauses schien durch einen Spalt in den vorgezogenen Vorhängen das Licht einer Lampe, sonst ließ nichts auf einen Bewohner schließen. Polizei war nicht da, doch der Schnee auf dem Bürgersteig war von großen Schuhen zertrampelt worden. Fletcher klingelte - es war eine alte Türglocke, die irgendwo in den Tiefen des Hauses blechern schrillte. Er wartete. Ihm war kalt, wie er da so auf den Stufen vor der Tür stand. Wind fegte durch die Straße. Nach einer Weile hörte er, wie erst eine Dielentür und dann die Haustür selbst mehrfach entriegelt wurde. Die Tür öffnete sich, wurde aber noch von einer Sicherheitskette gehalten. In dem Spalt sah er etwa auf Höhe seiner Brust zwei große Augen. »Hallo«, sagte er. Keine Antwort. »Ich heiße Tom Fletcher. Ich würde mich gerne mit Ihnen über Daisy unterhalten.«
    Die Augen musterten ihn von oben bis unten, dann ein Blinzeln.
    »Sind Sie ein Journalist?« Das klang hoffnungsvoll, nicht abwehrend.
    »Ich interessiere mich für Daisys Story, ja.«
    »Für welche Zeitung arbeiten Sie?«
    »Ich bin Freelancer. Komme ich als Erster?«
    »Ja. Aber die Polizei hat gesagt, ich soll mit niemandem reden.«
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    »Sind Sie eine Mitbewohnerin von Daisy?« »Ich bin die Putzfrau.«
    Die Putzfrau - wunderbar. »Könnte ich vielleicht für eine Minute hereinkommen? Hier draußen ist es eiskalt.«
    »Nein. Ich bin allein im Haus. Ich muss sauber machen, bügeln.«
    »Daisy wohnt hier allein?«
    »Oh ja. Sie hat das ganze Haus für sich.«
    »Da muss Daisy aber eine wohlhabende Studentin sein, wenn sie ein ganzes Haus und dazu noch eine Putzfrau

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