Stalingrad
– komm bald! Wir warten!
Dein A. Lissagor .
PS. Ich habe endlich den Sprengzünder LZZ gefunden, von dem Du immer geträumt hast. Ich werde ihn aber ohne Dich nicht auseinandernehmen. Wir haben jetzt schon eine ganz hübsche Beutekollektion. Minen ›S‹ und ›TMI 43‹, fünf ganz neue Typen von Sprengzündern in wunderschönen Kästchen (als Tabaksdosen zu verwenden) und wunderbare deutsche Brandrohre mit Reibsprengzündern.
A. L.
Auf der anderen Seite ist ein Zusatz in großen, schiefen, nach unten kriechenden Buchstaben:
»Guten Tag oder guten Abend, Genosse Leutnant! Ich teile Ihnen mit, daß ich vorläufig gesund und munter bin, was ich auch Ihnen wünsche! Genosse Leutnant, Ihre Bücher sind alle in Ordnung, ich habe sie in den Koffer gepackt. Der Genosse Zugführer hat zwei Akkumulatoren beschafft, jetzt ist es in unserem Unterstand hell. Oberleutnant Schirjajew will sie für den Stab wegnehmen. Genosse Leutnant, kommen Sie bald! Alle grüßen Sie herzlichst und ich auch!
Ihre Ordonnanz A. Wolegow.«
Ich stecke den Brief in die Tasche, ziehe den Kittel an und gehe zum Oberarzt. Er ist ein feiner Bursche, man kommt immer gut mit ihm aus. Und dann zum Kammerunteroffizier, er soll mir eine neue Uniformbluse geben, bei meiner jetzigen ist der ganze Ärmel zerrissen.
Am Morgen verabschiede ich mich von den Kameraden, in knarrenden Stiefeln und einem neuen Soldatenmantel, einen Haufen Briefe in den Taschen – für Stalingrad.
Man begleitet mich bis ans Tor.
»Grüß bitte Paulus dort.«
»Unbedingt.«
»Vergiß meinen Auftrag nicht, hörst du?«
»Nein, nein.«
»Es ist gleich nebenan. Die zweite Schlucht von eurer.
Dort, wo die angeschossene ›Katjuscha‹ steht.«
»Wenn du Marusja siehst, sag ihr, daß ich ihr etwas Interessantes zu erzählen habe, wenn wir uns wiedersehen. Brieflich kann ich’s nicht.«
»Gut … Alles Gute … Den ›Pfadfinder‹ gebt in Saal sechs ab. Und grüßt die Gymnastiklehrerin.«
»Gut. Alles Gute!«
»Alles Gute!«
»Schreibe … Vergiß uns nicht …«
Der Chauffeur winkt mir schon.
»Mach Schluß, Leutnant.«
Ich drücke die dargebotenen Hände und laufe zum Wagen.
29
Bis zum Vorwerk Burkowskij gelangen wir am Abend. In Burkowskij sind die Versorgungsdienste der Division und Lasar, der Oberzahlmeister. Bei ihm übernachte ich, in einer kleinen Hütte, die von alten Frauen, Kindern und irgendwelchen Schreibern bevölkert ist.
»Nun, wie ist es im Hinterland?« fragt man mich. »Wie immer.«
»Hast du in Leninsk gelegen?«
»Ja, in Leninsk. Kein beneidenswertes Lazarett. Mit meinem Unterstand am Ufer nicht zu vergleichen.«
Lasar lacht. »Wirst ihn nicht wiedererkennen, deinen Unterstand: elektrisches Licht, Grammophon, an fünfzig Platten, die Wände mit deutschen Decken behängt. Wunderschön.«
»Bist du schon lange von dort weg?«
»Bin erst gestern zurückgekommen. Hab die Gehälter ausgezahlt.«
»Halten sich die Fritzen noch?«
»I wo! Vom Mamai-Hügel sind sie schon getürmt, haben sich hinter der Langen Schlucht eingegraben. Sie stehen schon mit einem Bein im Grabe. Nichts zu fressen, keine Munition, in den Unterständen liegen abgenagte Pferdeknochen herum. Kaputt, im großen und ganzen …«
In der Nacht kann ich lange nicht einschlafen, wälze mich von einer Seite auf die andere.
Am Morgen fahre ich in aller Frühe mit einem Stabswagen weiter.
An die Wolga fahren wir ohne jegliche Tarnung heran, direkt ans Ufer. Breit, weiß, schmerzhaft blendend liegt sie da. Am anderen Ufer hebt sich etwas Dunkles ab, wahrscheinlich eine Straßenkontrollstelle. Ein rotes Fähnchen auf weißem Grund. Wie die Zeit verfliegt! … Vor kurzem noch, als ob es erst gestern gewesen wäre, war dieselbe Wolga, die jetzt blendend weiß ist, dunkelrot vor Rauch und Feuer, aufgewühlt von Explosionen, ganz bedeckt mit schwimmenden Brettern und Trümmern. Und jetzt! Der abgesteckte Eisweg dringt pfeilartig in das gegenüberliegende Ufer ein. Autos flitzen hin und her, LKW, »Willys«, bunte, mit Schutzfarbe angestrichene »Emchen« 16 . Ab und zu, in einigen Hundert Meter Entfernung voneinander, dunkle Flecke von Minenexplosionen. Das sind noch alte Spuren. Der Verkehrsposten mit rotem Schnurrbart und gelben Fähnchen sagt, daß schon seit etwa zwei Wochen die Überfahrtsstelle nicht mehr beschossen wird – denen ist die Puste ausgegangen.
Wir fahren an die Kontrollstelle heran.
»Ihre Papiere?«
»Ohne die darf man wohl nicht?«
»Geht nicht,
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