Stalingrad
Genosse Leutnant. Ordnung muß sein.« O Wunder! … Rings um Tschuikows Stab ein Drahtzaun,
am Eingang Wachen, die strammstehen, bestreute Wege, über jedem Unterstand eine Nummer – sauber gezeichnet, schwarz, auf einem besonderen Brettchen.
Ein Pfeil an dem gestreiften Mast: »Wirtschaft Borodin 300 Meter.« Und mit rotem Bleistift daruntergeschrieben: »Erste Quergasse links.« Sie sind also umgezogen. Quergasse links – wahrscheinlich ist das die Schlucht, wo der Divisionsstab lag.
Ich bin aufgeregt. Wahrhaftig, ich bin aufgeregt. So ist es immer, wenn man nach Hause zurückkehrt. Kehrt man vom Urlaub oder von irgendwoher zurück, so beschleunigt man seine Schritte, je mehr man sich dem Hause nähert. Und alles bemerkt man während des Gehens, jede Kleinigkeit, jede Neuerung. Der Bürgersteig ist asphaltiert worden, an der Ecke ist ein neuer Zigarettenkiosk, die Straßenbahnhaltestelle ist näher an die Apotheke verlegt worden, auf das Haus Nr. 26 ist eine zweite Etage aufgestockt worden. Alles siehst du, alles bemerkst du …
Hier sind wir an jenem denkwürdigen Septembermorgen ausgebootet worden. Hier ist der Weg, auf dem die Kanone entlanggeschleift wurde. Hier das weiße Wasserwerk. Ein Bombentreffer hat dreißig verwundete Soldaten, die darin lagen, getötet. Es ist wiederaufgebaut worden. Jetzt befindet sich eine Schmiede darin. Hier war mal ein Graben, in ihm haben wir mit Walega während eines Bombenangriffs Deckung gesucht. Er ist wahrscheinlich zugeschüttet worden – keine Spur mehr davon zu sehen. Hier hat jemand eine Treppe gebaut, nun braucht man nicht mehr am Abhang hochzukraxeln. Höchst kultiviert, sogar gehobelte Treppengeländer.
Über meinem Kopf fliegt eine Staffel unserer »Petljakow«. Ruhig, sicher. Wie einst die Heinkel. Feierlich, einer nach dem andern, greifen sie im Sturzflug an …
Das ist eine Sache – Teufel!
Die Schlucht ist leer. Ein Haufen deutscher Minen liegt im Schnee. Drahtknäuel, ein schiefer Stand für eine Drahtwalze. Das ist unser Stand, ich erkenne ihn wieder: Garkuscha hat ihn gemacht. Neben dem Abort etwa zwanzig Fritzen, schmutzig, unrasiert, in Lumpen und Tücher gehüllt. Bei meinem Anblick stehen sie auf.
»Wen suchen Sie, Genosse Leutnant?« ertönt eine Stimme von oben.
Etwas von einer Schneewolke Umgebenes fliegt wie ein Wirbelwind auf mich zu und wirft mich beinahe um.
»Gesund und munter, Genosse Leutnant?«
Ein fröhliches rotes Gesicht mit lachenden Kinderaugen.
Sedych! Keine Täuschung, Sedych!
»Woher kommst du, du gestreifter Teufel?«
Er antwortet nicht. Strahlt, strahlt vom Kopf bis zu den Füßen.
Und ich strahle auch.
So stehen wir uns gegenüber und schütteln einander die Hände. Mir ist, als ob ich ein wenig betrunken sei.
»Hier geht alles durcheinander, Genosse Leutnant. Wir jagen jetzt die Deutschen, daß die Funken stieben. Unser Gefechtsstand ist hier in der Schlucht. Alle sind vorne. Ich bin verwundet und deshalb zurückgeblieben. Die Fritzen zu bewachen …«
»Und Igor?«
»Gesund und munter.«
»Gott sei Dank!«
»Kommen Sie doch heute zu uns Wodka trinken. Wir haben ein volles Faß. Werden die sich freuen! Sie kommen aus dem Lazarett? Ja! Die Kameraden haben es mir gesagt.«
»Ja, aus dem Lazarett. Bleib doch mal stehen, laß dich begucken.«
Wirklich, er hat sich kein bißchen verändert, nur männlicher ist er geworden. Stachlige Härchen auf dem Kinn. Die Wangen ein wenig eingefallen. Aber er ist genauso rot und kräftig wie früher, und die Augen sind auch wie früher – lustig, mutwillig, mit langen, nach oben gebogenen Wimpern, wie bei einem Mädchen.
»Halt, halt! Was glänzt denn da unter deiner Jacke?«
Sedych wird verlegen und beginnt, an den Schwielen in der Handfläche zu knaupeln – eine alte Angewohnheit.
»Oh, du Schuft! Und das verschweigst du … Gib die Pfote her … Wofür hast du’s denn bekommen?«
Er wird noch röter. Meine Finger knacken in seiner mächtigen Hand.
»Nun ist es nicht mehr peinlich, in den Kolchos zurückzukehren, was?«
»Wie sollte es mir denn peinlich sein …« Und er knaupelt noch immer an seiner Handfläche. »Und Sie haben noch dieses … das Zigarettenetui von mir? Oder …«
»Aber natürlich! Hier ist es, rauche! Hast du Feuer?«
»Hans, Feuer für Herrn Leutnant! Fix! Feuer, Feuer, oder wie heißt es bei euch?«
Ein hagerer Deutscher mit einer Hornbrille, wahrscheinlich ein Offizier, springt sofort heran und läßt sein pistolenförmiges Feuerzeug
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