Stalins Geist
gingen, sahen die beiden Männer einander nur als Schatten.
»Was dagegen, wenn ich rauche?«, fragte Platonow. »Ja.«
»Betrachten Sie sich als gefeuert. Entlassen.«
Der Boden war uneben; Pulverschnee bedeckte die vereisten Schlittens puren. Als Kind war Arkadi in diesem Park hundertmal Schlitten gefahren und Schlittschuh gelaufen.
»Sehen Sie sich vor.«
»Machen Sie sich keine Sorgen um meine Gesundheit. Da spricht der Mann, der mich gefragt hat, ob ich mir Feinde gemacht habe.«
»Wenn Sie schon reden müssen, flüstern Sie.«
»Ich rede nicht mit Ihnen. Betrachten Sie die Unterhaltung als beendet.« Platonow stapfte eine oder zwei Sekunden lang schweigend dahin. »Wissen Sie überhaupt, wer die Russischen Patrioten sind?«
»Es klingt sehr nach Kommunisten.«
»Es klingt nach uns, und das soll es auch. Der Kreml hat Amerikaner hinzugezogen. Die Amerikaner haben eine Umfrage gemacht; sie haben die Leute gefragt, welche politische Gestalt sie am meisten bewundern. Die Antwort war: Stalin. Sie fragten, warum, und die Antwort lautete: Stalin war ein russischer Patriot. Dann wollten sie wissen, ob die Leute eine Partei namens >Russische Patrioten< wählen würden, die es überhaupt nicht gab. Fünfzig Prozent sagten, ja. Also schrieb der Kreml >Russische Patrioten< auf die Wahlzettel. Für den bloßen Namen kriegen sie Stimmen. Das ist eine Unterwanderung des demokratischen Prozesses.«
»Und was ist, wenn Stalin von den Toten aufersteht und für sie Wahlkampf macht?«
»Das ist ja das Empörende. Stalin gehört uns. Stalin gehört der Partei.«
»Vielleicht könnten Sie das Copyright für ihn in Anspruch nehmen. Wie für Coca-Cola.«
Platonow blieb stehen, um zu Atem zu kommen. Arkadi hörte Rufe und sah zwei Gestalten im Schnee, fünfzig Meter hinter ihnen. Der Strahl einer Taschenlampe schwenkte hin und her.
»Das sind Bora und der Kameramann«, sagte Arkadi.
»Ich wusste, wir sollten uns ein Taxi suchen. Warum habe ich auf Sie gehört?«
Platonow ging weiter, langsamer und schwerfälliger als vorher.
»Wie geht es Ihrem Herzen?«, fragte Arkadi.
»Ein bisschen spät, um sich Sorgen um meine Gesundheit zu machen. Haben Sie keine Waffe?«
»Nein.«
»Wissen Sie, was das Problem mit Ihnen ist, Renko? Sie sind ein Waschlappen. Zu weich für Ihren Job. Ein Ermittler sollte eine Pistole haben.«
Was wir brauchen, sind Flügel, dachte Arkadi. Bora schien über den Schnee zu fliegen. Der erste Eindruck von Schwerfälligkeit war falsch gewesen.
»Wo gehen wir hin?«, fragte Platonow. Sie waren auf die Mitte des Parks zugegangen, aber jetzt nahm Arkadi Kurs auf die Straße.
»Bleiben Sie einfach bei mir.«
»Das hat doch überhaupt keinen Sinn.«
Bora hatte den Abstand bereits halbiert und den Kameramann und die Reichweite der Taschenlampe weit hinter sich gelassen. Wenn man die pumpenden Bewegungen seiner Knie sah, hätte man ihn für einen Berufssportler halten können, dachte Arkadi. Er bewunderte Leute mit einer solchen körperlichen Kondition. Er selbst hatte anscheinend nie Zeit, sie sich anzutrainieren.
Platonow atmete stoßweise. Arkadi fasste ihn beim Ärmel und zog ihn wieder in die Richtung, die sie ursprünglich genommen hatten. Es war, als führte man ein Kamel durch den Schnee. Das zweimalige Abbiegen hatte Zeit und Vorsprung gekostet. Schließlich konnte Platonow nicht mehr weiter. Er hielt sich an einem Ölfass fest, in dem Schaufeln standen.
Bora kam durch die Schneeflocken heran, die schwerelos in der Luft hingen. Etwas Glänzendes hing von seiner linken Hand. Weit hinter ihm schrie der Kameramann, er solle stehen bleiben. Boras Schritte wurden noch schneller, noch zielstrebiger.
»Du hast gelacht«, rief er Arkadi zu.
»Wann?«
»In der Metro. Dafür schneide ich dir die Augen heraus und ficke dich ins Gesicht.«
Bora holte mit dem Arm aus. Mitten im Lauf versank er im Schnee und war verschwunden. Schneeflocken wirbelten da, wo er gestanden hatte. Arkadi wischte den Schnee beiseite und sah eine Hand, die von unten gegen das Eis drückte.
Der Kameramann kam heran. Sein Bart war bereift von seinem Atem. Er war noch ein Junge, weich und schwer und mit roten, flaumigen Wangen.
»Ich habe versucht, ihn zu warnen«, sagte er.
»Der Name hätte ihm einen Hinweis geben sollen«, sagte Arkadi.
Die Metrostation, die im Krieg Kirow geheißen hatte, war in Tschistyje Prudi umbenannt worden, weil ein »klarer Teich« den Park- im Sommer kühlte und im Winter als Schlittschuhbahn
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