Starbuck. Der Rebell: Buch 1 (Die Starbuck-Serie)
Brücke sie da gerade ins Visier nahmen. Doch trotz aller Zweifel und Schwierigkeiten hatten sie die Eisenbahnlinie erreicht, die sich zudem als unbewacht erwies, und deshalb stiegen und schlitterten sie im ersten Tageslicht den steilen Abhang zum North Branch hinunter.
Sie banden die Pferde neben der Bahnlinie dicht bei der Brücke an. Starbuck ging, zitternd in der Morgenkühle, zum Rand der Talschlucht und stellte fest, dass die Holzstreben, die von oben aus so filigran ausgesehen hatten, in Wahrheit massive Baumstämme waren. Man hatte ihre Rinde abgeschält und sie mit Teer eingestrichen, bevor sie in die Erde gesenkt oder mit riesigen Felsbrocken verkeilt wurden, die aus den Hängen der Schlucht ragten. Die Balken waren untereinander mit Metallmanschetten verbunden und bildeten auf diese Art eine dichte Gitterstruktur, die sich sechzig Fuß über dem Flussbett erhob und die zweihundert Fuß breite Schlucht überspannte. Die Balken fühlten sich trotz ihres Schutzanstrichs aus Teer feucht an, genau wie der Wind, der böig und kalt vom Fluss heranstrich. Erneut verhießen die Wolken am Himmel Regen.
Captain Hintons Männer überquerten also die Brücke, und Murphy ging mit seinen Leuten nach Osten, während sich die Abteilung des Colonels, zu der auch Starbuck gehörte, zum Grund der Schlucht hinunterarbeitete. Der Hang war schlüpfrig, und im Gebüsch hingen immer noch die Regentropfen des Vortags, sodass die ohnehin schon feuchte Kleidung der sechs Männer bei ihrer Ankunft am Ufer des schnell fließenden Stroms vollkommen durchnässt war. Starbuck half Sergeant Daniel Medlicott, einem verdrießlichen, maulfaulen Kerl und von Beruf Müller, eines der Pulverfässer den steilen Abhang hinunterzuschaffen. Washington Faulconer sah sie mit ihrer Aufgabe kämpfen und rief Nate zu, er solle sich vor einem Strauch Giftsumach hüten, eine Warnung, die Medlicott zu enttäuschen schien. Die anderen drei Fässer waren bereits am Grund der Schlucht. Der Colonel hatte vorgehabt, zwei der Pulverfässer aufzusparen, doch nun entschied er, dass es besser sei, diese solide Brücke komplett zu zerstören, als später noch nach anderen Brücken zu suchen. Medlicott stapelte die Fässer übereinander und zog den Spund heraus, um eine Zündschnur in das Schwarzpulver zu schieben. «Das Pulver fühlt sich für mich mächtig feucht an, Faulconer.»
«Colonel.» Faulconer zischte das Wort. Er versuchte seine ehemaligen Nachbarn dazu zu bringen, die militärische Anrede zu benutzen.
«Fühlt sich trotzdem feucht an», beharrte Medlicott, der sich stur weigerte, Faulconers Laune zu verbessern.
«Wir versuchen es mit der Zündschnur und machen dazu noch ein Feuer», sagte Faulconer, «und wenn das eine nicht funktioniert, geht es mit dem anderen. Also los!» Er ging mit Starbuck ein paar Schritte flussauf. «Das sind gute Männer», sagte er verdrießlich, «aber sie haben keine Ahnung von militärischer Disziplin.»
«Das ist auch ein schwieriger Wechsel», sagte Starbuck diplomatisch. Er hatte Mitleid mit Faulconer, dessen Hoffnungen auf einen munteren und herausfordernden Überfall sich in diesen feuchten Albtraum von Verzögerungen und Schwierigkeiten verwandelt hatten.
«Dein Freund Truslow ist der Schlimmste von allen», knurrte der Colonel. «Hat überhaupt keinen Respekt.» Er klang enttäuscht. So sehr hatte er sich Truslow in seine Legion gewünscht, hatte geglaubt, der Ruf dieses Mannes würde dem Regiment eine furchterregende Aura verleihen, doch nun begann er selbst, Truslow seine aufsässige und unabhängige Art übelzunehmen. Washington Faulconer hatte sich einen Tiger ins Lager geholt, und nun wusste er nicht, wie er mit der Bestie umgehen sollte. «Und du unterstützt mich auch nicht gerade, Nate», sagte der Colonel plötzlich.
«Ich, Sir?» Starbuck, der mit dem Colonel gefühlt hatte, war von dieser Anschuldigung tief getroffen.
Der Colonel antwortete nicht sofort. Er stand am Fluss und schaute zu, wie Medlicotts Männer mit Jagdmessern Holz zerlegten, mit dem um die Schwarzpulverfässer herum Feuer gemacht werden sollte. «Du solltest keinen zu vertrauten Umgang mit diesen Leuten pflegen», sagte der Colonel schließlich. «Eines Tages führst du den Befehl, und die Kerle werden dich nicht respektieren, wenn du sie sich nicht auf Abstand hältst.» Washington Faulconer sah Starbuck nicht an, während er das sagte, sondern blickte durch das Gitterwerk der Brücke auf den grauen Fluss, der einen verdrehten
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