Starke Frauen
begraben auch ihre Hoffnung, dass sich irgendwas zum Guten wendet in der DDR. »Ich habe mich eigentlich nie für Politik interessiert. Das kam nur durch die Wende. Das war die Einsicht in die Notwendigkeit: Wenn etwas anders werden soll, müssen das auch andere Leute machen«, sagt sie. Noch vor dem Fall der Mauer tritt sie in die Ost-SPD ein. Aber sie spielt auch weiterhin bei den HausmusikenKlavier, legt vor dem Schlafengehen Patience, verzichtet auch weiterhin auf einen Fernseher.
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»Ich sage immer: Kopf und Schwanz, das ist kein Glück – das Beste ist das Mittelstück«
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12. April 1990. Regine Hildebrandt wird Ministerin für Arbeit und Soziales in der letzten Regierung der DDR unter Lothar de Maizière (CDU). Nach der Wiedervereinigung übernimmt sie das gleiche Amt in der Landesregierung von Brandenburg. Sie fällt auf. Der Haarschnitt, die Schnauze, das Herzblut! Bundeskanzler Helmut Kohl nennt sie eine »Dame mit dem Geschrei einer Barrikadenkämpferin der Pariser Kommune«. 1991 wird die Berliner Göre vom Deutschen Staatsbürgerinnen-Verband zur »Frau des Jahres« gewählt.
Regine liest Akten meistens im Dienstwagen, ist mehr bei der »Basis« als in ihrem Ministerium. Das schafft Unruhe unter Amtskollegen und Beamten. 1997 hat sie die Staatsanwaltschaft am Hals. Hildebrandt soll Restgelder über Jahresgrenzen hinaus gehortet, Fördergelder ohne gesetzliche Grundlage verteilt haben. Der Landtag rügt sie. Das Verfahren wird 1999 eingestellt.
1999 verliert die SPD ihre absolute Mehrheit in Brandenburg. Regine ist für eine Koalition mit der PDS: »Ohne die linke Herzkammer kann die SPD nicht existieren«, sagt sie. Als es zur großen Koalition mit der CDU kommt, tritt sie zurück. Sie wolle nicht mit Leuten am Kabinettstisch sitzen, die sie »im Wahlkampf als Arschlöcher kennengelernt« habe. CDU-Generalsekretärin Angela Merkel erklärt noch am Wahlabend: »Diese Frau schadet der deutschen Einheit.« In Wirklichkeit haben beide Frauen Großes für die Wiedervereinigung geleistet.
Ihre Gegner werfen ihr vor, das in der DDR als selbstverständlich wahrgenommene Recht auf soziale Hängematten auf Kosten der westdeutschen Steuerzahler konservieren zu wollen. Dabei will sie keine milden Gaben, sondern lediglich Verständnis für Menschen, die lernen mussten, wie Freiheit, Demokratie, Marktwirtschaft funktionieren. Sie versucht, die Würde der »Ossis« zu retten, bekämpft allerdingsschnauzig jede Ostalgie. Als der Abriss des Ostberliner Palastes der Republik beschlossen wird, lässt sie die Nation wissen: Dort aufs Klo zu gehen »war ein kulturelles Ereignis«.
Sie sagt: »Damals, im Herbst 89, wollten wir eine Demokratisierung der DDR, wir wollten Versammlungsfreiheit, Meinungsfreiheit, Reisefreiheit. Was dann kam, haben wir uns anders vorgestellt. Dann kam die Einheit und damit der Kampf um die Frage, ob es nicht auch ein paar Sachen aus dem Osten gibt, die im Westen hilfreich wären. Es gab nun einmal Dinge, wo der Westen etwas hätte lernen können. Im Rentensystem etwa. Oder im Gesundheitswesen.« Nicht zu vergessen: »Im Osten haben wir kollektiviert wie die Blöden, da gab es überhaupt kein Individuum mehr. Wir waren im Wohnkollektiv, im Arbeitskollektiv, im Leistungskollektiv. Aber was wir jetzt erleben, das ist meines Erachtens noch unverträglicher. Wir erleben hier ja auch alles noch einen Zahn schärfer als drüben: Das ist die Ellenbogengesellschaft par excellence!«
Regine ist zu dieser Zeit schon an Brustkrebs erkrankt: Bereits am 4. Juli 1996 wird ihr eine Brust amputiert. Sie spricht öffentlich über ihre Krankheit und fordert die Aufhebung des Verbotes aktiver Sterbehilfe. In ihrer Patientenverfügung vom 25. Februar 2001 schreibt sie: »Im Endstadium meiner Krankheit möchte ich auf jedwede lebensverlängernde Maßnahme ausdrücklich verzichten.« Wenige Wochen später eröffnet sie in Brandenburg ein nach ihr benanntes Sterbehospiz.
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»Ich habe keine Angst vor dem Tod, höchstens vor einem qualvollen Sterben«
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Bis zur letzten Minute kostet sie ihr Leben aus. Im Juli 2001 reist Regine mit ihrem Mann nach Island, dem Land, »nach dem sie sich ein Leben lang gesehnt hat«. Ihr Terminkalender ist vollgepackt. Für den 26. November 2001, dem Tag ihres Todes, stehen neun Termine auf dem Programm, einschließlich Pressekonferenz, Porträtzeichnen, Gespräch mit dem Stern und Chorprobe. Am späten Abend stirbt sie in ihrer einstigen DDR-Kleindatsche in Woltersdorf
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