Starkes Gift
halsbrecherische Unternehmungen gesetzt.
Solange Mrs. Wrayburn lebte, konnte ihm nicht viel passieren, denn er brauchte ihr nur die Summen auszuzahlen, die sie für ihre Haushaltsführung brauchte. Tatsächlich wurden alle Haushaltsrechnungen und alle Gehälter von ihm als dem Bevollmächtigten bezahlt, und solange er das tat, ging es niemanden etwas an, was er mit dem Kapital angestellt hatte. Sobald aber Mrs. Wrayburn gestorben wäre, hätte er gegenüber dem anderen Erben, Philip Boyes, Rechenschaft über das veruntreute Kapital ablegen müssen.
Im Jahre 1929 nun, gerade um die Zeit, als Philip Boyes sich mit Miss Vane überwarf, wurde Mrs. Wrayburn schwer krank und wäre beinahe gestorben. Die Gefahr ging noch einmal vorüber, konnte aber jederzeit wieder eintreten. Fast unmittelbar im Anschluß daran erleben wir, wie er sich mit Philip Boyes anfreundet und ihn einlädt, bei ihm im Haus zu wohnen. In der Zeit, in der er bei Urquhart wohnt, erkrankt Boyes dreimal, und der Arzt stellt Gastritis fest, aber es konnten genausogut Arsenvergiftungen sein. Im Juni 1929 reist Philip Boyes nach Wales, und seine Gesundheit bessert sich.
Während Philip Boyes verreist ist, erleidet Mrs. Wrayburn wieder einen schweren Anfall, und Urquhart eilt nach Windle, möglicherweise mit der Absicht, das Testament zu vernichten, falls das Schlimmste eintritt. Es tritt aber nicht ein, und er kehrt nach London zurück, gerade rechtzeitig, um Boyes bei seiner Rückkehr aus Wales zu empfangen. Am selben Abend erkrankt Boyes mit ähnlichen Symptomen wie im zurückliegenden Frühjahr, nur viel schwerer, und nach drei Tagen stirbt er.
Urquhart ist jetzt vollkommen in Sicherheit. Als Resterbe erhält er nach Mrs. Wrayburns Tod alles Geld, das sie Philip Boyes vermacht hatte. Das heißt, er bekommt es nicht, weil er ja schon alles genommen und verloren hat, aber er hat es nun nicht mehr nötig, Rechenschaft darüber abzulegen, und seine betrügerischen Machenschaften bleiben somit unentdeckt.
Diese Indizien, soweit sie das Motiv betreffen, sind überaus zwingend und wesentlich überzeugender als die, die gegen Miss Vane vorgebracht wurden.
Aber hier liegt nun zugleich der Haken, Wimsey. Wann und wie wurde das Gift verabreicht? Wir wissen, daß Miss Vane Arsen besaß und es ihm leicht und ohne Zeugen hätte geben können. Urquhart hatte dazu aber nur Gelegenheit während seines gemeinsamen Abendessens mit Boyes, und wenn eines in diesem Fall sicher ist, dann die Tatsache, daß das Gift bei diesem Abendessen nicht verabreicht wurde. Alles, was Boyes gegessen oder getrunken hat, wurde auch von Urquhart und/oder den Dienstboten gegessen und getrunken, mit einziger Ausnahme des Burgunders, der aber aufbewahrt und analysiert wurde und sich als harmlos erwies.«
»Ich weiß«, sagte Wimsey, »aber das ist ja gerade das Verdächtige. Hast du je von einem Abendessen gehört, bei dem solche Vorkehrungen getroffen wurden? Das ist doch unnatürlich, Charles. Da kommt zuerst der Sherry, vom Dienstmädchen aus der Originalflasche eingeschenkt; Suppe, Fisch und geschmortes Hühnchen – völlig unmöglich, einen Teil davon zu vergiften, ohne alles zu vergiften – das Omelett, so demonstrativ vom Opfer selbst bei Tisch zubereitet – der Wein, versiegelt und gekennzeichnet – die in der Küche verzehrten Reste – man hat den Eindruck, der Mann hat sich eigens bemüht, ein über jeden Verdacht erhabenes Abendessen zu arrangieren. Der Wein ist das Tüpfelchen auf dem i, das die ganze Geschichte unglaubwürdig macht. Erzähl mir nicht, es sei natürlich, daß der liebende Vetter von Anfang an, als noch alles an eine natürliche Krankheit glaubte und seine ganze Sorge dem Kranken hätte gelten sollen, an die Möglichkeit gedacht haben soll, der Giftmischerei verdächtigt zu werden, wenn er unschuldig war. Das ist nicht glaubhaft. Wenn er selbst unschuldig war, hatte er jedenfalls einen Verdacht. Wenn er einen Verdacht hatte, warum hat er ihn nicht dem Arzt mitgeteilt und veranlaßt, daß die Ausscheidungen untersucht wurden? Wieso hätte er überhaupt auf die Idee kommen sollen, sich vor möglichen Anschuldigungen zu schützen, solange gar keine Anschuldigungen erhoben wurden, wenn er nicht wußte, daß solche Anschuldigungen wohlbegründet sein würden? Und dann noch die Geschichte mit der Krankenschwester.«
»Richtig. Die Krankenschwester hatte ja einen Verdacht.«
»Wenn er davon wußte, hätte er etwas unternehmen müssen, um diesen Verdacht in
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