Starkes Gift
Montague, ein viel schönerer Name als Bulfinch, es hat mir fast leid getan, ihm Lebwohl zu sagen, aber na ja! Eine Frau muß viele Opfer bringen, wenn sie heiratet, da macht eines mehr oder weniger auch nichts mehr aus. Ich hab dort immer nur in der Bar gearbeitet, denn an den Bierausschank hätte ich mich nie gestellt, denn das ist dort keine vornehme Gegend, aber in die Bar, da kommen abends viele nette Herren aus Anwaltsbüros und so. Also, wie ich schon sagte, dort hab ich bis zu meiner Heirat gearbeitet, und die war vorigen August am Bankfeiertag, und ich weiß noch, daß da eines Abends ein Herr hereinkam–«
»Glauben Sie, daß Sie sich noch ans Datum erinnern können?«
»Nicht auf den Tag genau, da müßte ich lügen, aber es muß um den Sommeranfang herum gewesen sein, denn ich hab zu dem Herrn noch eine Bemerkung darüber gemacht, nur um was zu sagen, verstehen Sie?«
»Das ist schon recht genau«, sagte Parker. »Also etwa um den zwanzigsten, einundzwanzigsten Juni, ja?«
»Soweit ich sagen kann, ja. Aber die Uhrzeit, die kann ich Ihnen nun wieder ganz genau sagen – ich weiß doch, wie pingelig ihr Kriminaler immer mit dem Minutenzeiger seid.«
Mrs. Bulfinch kicherte erneut und blickte sich applausheischend um. »Da saß nämlich ein Herr – ich kannte ihn nicht, er war fremd in der Gegend – und der hat gefragt, wann wir zumachen, und ich hab ihm gesagt, um elf Uhr, und er hat gemeint: ›Gott sei Dank, ich dachte schon, ich würde um halb elf rausgeschmissen‹, und ich hab auf die Uhr geschaut und gesagt: ›Ach, da haben Sie schon noch Zeit, Sir; wir stellen die Uhr nämlich immer eine Viertelstunde vor.‹ Auf der Uhr war’s zwanzig nach zehn, und daher weiß ich eben, daß es in Wirklichkeit fünf nach zehn gewesen sein muß. Und da kamen wir ins Gespräch über die Prohibitionisten und wie sie wieder mal versuchten, die Polizeistunde auf halb elf vorzuverlegen, aber wir hatten ja in Mr. Judkins einen guten Freund im Parlament, und während wir darüber sprachen, das weiß ich noch genau, da wurde die Tür heftig aufgestoßen, und ein junger Mann kam rein, fiel fast rein, könnte man sagen, und rief: ›Einen doppelten Kognak, bitte, schnell.‹ Na ja, ich mochte ihn nicht gleich bedienen, der sah mir so weiß und komisch aus, daß ich dachte, er hätte schon einen über den Durst, und in solchen Dingen nahm der Chef es sehr genau. Aber er sprach ganz normal – völlig klar, ohne sich zu wiederholen oder so was, und seine Augen, die sahen zwar ein bißchen komisch aus, aber glasig waren sie nicht, wenn Sie mich verstehen. In unserem Beruf lernt man die Leute ziemlich schnell beurteilen. Irgendwie hielt er sich an der Theke fest und stand ganz gekrümmt und sagte: ›Einen kräftigen bitte, seien Sie so gut. Ich fühle mich elend.‹ Da sagt der Herr, mit dem ich mich unterhalten hatte, zu ihm: ›Immer mit der Ruhe‹, sagt er, ›was ist denn los?‹ und der Herr sagt: ›Mir ist so schlecht.‹ Und damit preßt er die Hände auf den Bauch, so!«
Mrs. Bulfinch umspannte ihre Taille und verdrehte dramatisch die großen blauen Augen.
»Na ja, da hab ich gesehen, daß er nicht betrunken war, und hab ihm einen doppelten Martell eingeschenkt, mit nur einem ganz kleinen Spritzer Soda drin, und er hat ihn auf einmal hinuntergekippt und gesagt: ›Jetzt ist es besser.‹ Und der andere Herr hat ihn um die Schulter gefaßt und ihm auf einen Hocker geholfen. Es waren noch viele andere Leute in der Bar, aber die haben nicht viel davon mitbekommen, weil sie alle vom Rennen redeten. Dann hat der Herr mich um ein Glas Wasser gebeten, und ich hab’s ihm gegeben, und er hat gesagt: ›Entschuldigen Sie, wenn ich Sie vorhin erschreckt habe, aber ich habe eben einen bösen Schock erlebt, und der muß mir auf den Magen geschlagen sein. Ich hab’s nämlich leicht mit dem Magen‹, sagt er, ›und sowie ich Kummer oder Ärger habe, geht es los. Aber‹, sagt er, ›vielleicht hilft mir das.‹ Damit nimmt er ein weißes Päckchen aus der Tasche, wo ein weißes Pulver drin ist, und das schüttet er in das Glas Wasser, rührt es mit einem Füllfederhalter um und trinkt es leer.«
»Hat das Pulver vielleicht geschäumt?« fragte Wimsey.
»Nein; es war ein ganz einfaches Pulver und hat sich gar nicht gleich aufgelöst. Er hat das Glas ausgetrunken und gesagt: ›So, jetzt ist Schluß damit‹, oder: ›So, jetzt ist es vorbei.‹ Irgendwas in der Art jedenfalls. Und dann hat er gesagt: ›Vielen Dank,
Weitere Kostenlose Bücher