Starkes Gift
sagen) servierte ihr sozusagen eine ausgewachsene Versuchung auf dem Silbertablett. Das Buch kam aus einem spiritistischen Verlag und hieß: Können die Toten sprechen?
In einem einzigen Augenblick der Erleuchtung sah Miss Climpson ihren Plan in allen Einzelheiten fix und fertig vor sich. Zwar wich ihr Gewissen vor dem ungeheuerlichen Schwindel, den sie dazu begehen mußte, entsetzt zurück, aber der Plan war sicher. Sie rang mit dem Dämon. Konnte selbst die gerechteste Sache eine solche Gemeinheit rechtfertigen?
Sie sandte ein Stoßgebet um Erleuchtung zum Himmel, doch zur Antwort flüsterte es nur in ihrem Ohr: »Großartig gemacht, Miss Climpson!« Und die Flüsterstimme war die Stimme Lord Peters.
»Entschuldigen Sie«, sagte Miss Climpson, »aber wie ich sehe, befassen Sie sich mit Spiritismus. Wie interessant!«
Wenn es ein Thema auf der Welt gab, von dem Miss Climpson behaupten konnte, einigermaßen darüber Bescheid zu wissen, dann war es der Spiritismus. Er ist eine Blume, die im Klima der Privatpensionen prächtig gedeiht. Wie oft hatte Miss Climpson schon zuhören müssen, wenn der ganze Klimbim von Sphären und Kontrollgeistern, Korrespondenzen und Wahrträumen, Astralleibern, Auras und ektoplastischen Materialisationen vor ihrem protestierenden Intellekt ausgebreitet wurde. Daß dies für die Kirche ein verbotenes Thema war, wußte sie sehr gut, aber sie war schon bei so vielen alten Damen als Gesellschafterin angestellt gewesen, daß sie so manches Mal gezwungen gewesen war, sich im Hause Rimmon zu verneigen.
Und dann war da dieser wunderliche kleine Mann von der Gesellschaft für parapsychologische Forschungen gewesen. Er hatte vierzehn Tage lang mit ihr im selben Gästehaus in Bornemouth gewohnt. Seine Spezialität war die Durchsuchung von Spukhäusern und die Entdeckung von Poltergeistern. Er hatte Miss Climpson recht gern gemocht, und sie hatte sich manch interessanten Abend lang von ihm die verschiedenen Tricks erklären lassen, mit denen Medien arbeiteten. Unter seiner Anleitung hatte sie gelernt, Tische zu rücken und explosionsartige Knackgeräusche zu erzeugen; sie wußte, wie man an einem versiegelten Tafelpaar nach den Spuren der Keile suchte, mit deren Hilfe man an einem langen schwarzen Draht die Kreide einführte, um die Geisterbotschaft zu schreiben. Sie hatte die raffinierten Gummihandschuhe gesehen, die in einer Schüssel Wachs den Abdruck einer Geisterhand hinterließen, nachdem man die Luft herausgelassen, sie von dem gehärteten Wachs gelöst und durch ein Loch, durch das nicht einmal eine Kinderhand paßte, herausgezogen hatte. Sie wußte sogar – theoretisch zumindest; ausprobiert hatte sie es nie –, wie man die Hände zum Fesseln hinter dem Rücken halten mußte, um den ersten Scheinknoten zu erzwingen, der alle weiteren Knoten nutzlos machte, oder wie man in einem abgedunkelten Raum umherhuschen und auf Tamburine schlagen konnte, obwohl man sich gefesselt und beide Fäuste mit Mehl gefüllt in eine schwarze Kammer hatte sperren lassen. Miss Climpson hatte sich sehr über die Dummheit und Schlechtigkeit der Menschen gewundert.
Die Pflegerin redete weiter, und Miss Climpson antwortete ganz mechanisch.
»Sie ist erst Anfängerin«, sagte Miss Climpson bei sich.
»Sie liest ein Lehrbuch … Und sie ist vollkommen unkritisch … Sicher weiß sie, daß diese Frau schon vor langer Zeit entlarvt wurde … Leute wie sie dürfte man nicht frei herumlaufen lassen – sie fordern ja geradezu zum Betrug heraus … Ich kenne diese Mrs. Craig nicht, von der sie spricht, aber ich würde sagen, sie ist mit allen Wassern gewaschen … Ich muß Mrs. Craig aus dem Weg gehen; wahrscheinlich versteht sie zuviel davon … Wenn diese arme, irregeleitete Kreatur das schluckt, dann schluckt sie alles.«
»Es erscheint so wunderbar, nicht wahr?« sagte Miss Climpson laut. »Aber ist es nicht ein wenig gefährlich ? Man sagt mir, ich hätte selbst mediale Fähigkeiten, aber ich habe mich noch nie getraut, das auszuprobieren. Ist es wirklich klug, seinen Geist diesen übernatürlichen Einflüssen zu öffnen?«
»Es ist nicht gefährlich, wenn man den rechten Weg kennt«, antwortete die Pflegerin. »Man muß lernen, eine Hülle reiner Gedanken um seine Seele herum aufzubauen, damit keine bösen Einflüsse hineinkönnen. Ich hatte schon die wunderbarsten Gespräche mit den lieben Menschen, die dahingegangen sind …«
Miss Climpson füllte die Teekanne auf und schickte die Kellnerin nach
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