starten durch
Informationen auf dem Flugblatt hier?«, fragt der jung gebliebene Bankangestellte. Er
holt eine Brille aus seiner Tasche (wohl doch nicht mehr so ganz jung geblieben, eher vierzig als dreißig) und fängt interessiert an, das Blatt zu betrachten. »Diese Fotos hier, die sind ja beeindruckend.« Er beginnt, den Text zu lesen. »Und das stimmt wirklich? Es gibt hier in der Stadt immer noch Legebatterien mit konventioneller Käfighaltung, obwohl das neue Gesetz zum Schutz der Legehennen schon überall hätte greifen sollen?«
Ähm …
»Und dieser sogenannte Hühnerhof hier bei uns bedient sich immer noch der Vertikalen Integration, was ein völlig veraltetes Geschäftsmodell ist?«
Der vertikalen was ? Hilfe, wovon redet der Typ?
Ich befeuchte mir kurz meine Lippen, nicke kräftig und lächele dabei überzeugend. Das kann ich! Und wird ja wohl stimmen, wenn es denn da steht. Ich vertraue Livi voll und ganz. (Meine Güte, womit beschäftigt sich meine Schwester eigentlich? Ich dachte, es ginge ihr einfach bloß um ein paar Hühner!)
Merkwürdig, irgendwie erinnert mich der Kerl an jemanden.
»Und wenn Sie hier von Kannibalismus schreiben, was meinen Sie denn genau damit?« Er nimmt die Brille ab und guckt mir direkt in die Augen.
Kannibalismus? Mir bröckelt vor Schreck fast der Mascara von den Wimpern. Was um alles in der Welt steht eigentlich auf diesem Flugblatt alles drauf?
Mist! Hätte das wohl doch genauer unter die Lupe nehmen sollen. Als ich mir die Gesichtscreme einmassierte, hatte ich natürlich nicht Zeit, um wirklich alles zu lesen. Aber wer rechnet schon damit, dass irgendjemand so lange über diesen Kram reden will! (Außerdem klingt es nicht
so, als würde man auch nur ein Wort von dem verstehen, was Livi und Gregory da zusammengeschrieben haben. Also hätte es wohl auch nicht allzu viel geholfen, wenn ich es denn gelesen hätte .)
»Und wie genau muss ich mir das mit den Knochenbrüchen beim Legen der Eier vorstellen?«, feuert der Typ jetzt ohne Rücksicht weiter und guckt mich dabei immer durchdringender und neugieriger an. Nicht unbedingt unangenehm, aber schon ein bisschen bohrend. Und – na gut – doch ein klein wenig unangenehm. Weil ich diesen dusseligen Text eben nicht gelesen habe.
Und vermutlich genau deswegen erinnert er mich in diesem Moment an einen Lehrer.
Kajalklar, dieser Kerl muss Lehrer sein. Kein Bankangestellter. Trotz Anzug. Vielleicht ein verkleideter Lehrer?
Der Typ lächelt wieder sein zahnweißes Lächeln.
Oder doch ein Zahnarzt? Aber die tragen natürlich noch viel weniger Anzug. Außer bei Beerdigungen. Oder Hochzeiten.
»Können Sie mir das etwas näher erläutern?«
Wie ich so an Lehrer und Zahnärzte denke, vergeht mir ein bisschen das Lächeln. Oder liegt das an den scheußlichen Dingen, die da offenbar auf dem Flugblatt stehen? Grottengruselig! Ich muss wohl ziemlich entsetzt ausgesehen haben, denn jetzt sehe ich Javi mit besorgtem Blick auf mich zustiefeln. Anscheinend hat er uns beobachtet.
»Stimmt was nicht, mi amorrr?«, fragt Javi, als er uns erreicht hat, und wirft mir einen liebevollen und dem Lehrer-Banker mit Zahnarztgesicht einen ziemlich strengen Blick zu.
Fast rutscht mir ein kleines Kichern raus. Ach, Javi ist sooo süß mit seinem spanischen Beschützerinstinkt!
Obwohl – hm – etwas mehr könnte er mir allerdings schon zutrauen. Ich bin doch kein kleines, doofes Mädchen, das nicht auch sehr gut alleine mit Männern umgehen kann!
Womöglich denkt dieser Weiße-Zähne-Banker-Typ sogar genau das Gleiche wie ich. Denn er schaut Javi fast amüsiert an. Und begreift offenbar sofort, wer Javi ist.
»Ich lasse mir nur gerade ein paar Dinge von Ihrer Freundin erklären«, sagt er in ruhigem Ton.
Ich nicke sehr reif und erwachsen dazu. Genau! Schließlich haben wir hier über total wichtige Sachen geredet. Na gut – auch wenn ich nicht ganz so viel geredet habe. Schön – eigentlich gar nicht.
Trotzdem.
Javier grunzt wie ein Hund, der enttäuscht darüber ist, dass der nette lächelnde Mann doch kein Einbrecher ist. Wo er doch so gerne ein bisschen gebellt und gebissen hätte! Zur Sicherheit bleibt er neben uns stehen.
»Ich finde es großartig, wenn sich bereits Schüler politisch engagieren«, behauptet der Lehrer-Banker, »ob im Umwelt- oder Tierschutz oder auch in anderen politischen Organisationen.«
Javi nickt zustimmend, bleibt aber stumm und misstrauisch wie der Hund. (Kein Räuber? RRrrr, kann ja jeder behaupten!)
Da fliegt
Weitere Kostenlose Bücher