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Verantwortung. Das ist natürlich eine ziemliche Last, aber das kann man sich ja nicht aussuchen. Man kann nur versuchen, dabei so gut wie möglich auszusehen. Denn als große Schwester hat man ja sozusagen eine Vorbildfunktion in mehrerlei Hinsicht. Man darf sich keine Blöße geben und sollte kleinen Schwestern immer einen Ausweg zeigen. Schließlich hat man ja nicht umsonst jede Menge Erfahrungsvorsprung in Sachen Cremes, Mascara, Jungs und, äh, leider auch in Sachen Schule und weniger berühmten Noten … Und was man den Kleinen auf jeden Fall fest in Herz und Hirn pflanzen sollte, ist: niemals zu früh aufgeben. Denn aufgeben gilt mal gar nicht!
D as Gesicht von der armen kleinen Malea-Maus, als Dodo und ich heute in der zweiten Stunde auf einer Leiter vor ihrem Klassenzimmerfenster auftauchten! Hahahaha! Zu blöd, dass ich keine Kamera dabeihatte!
Dodo hat ein paar Aufnahmen mit ihrem Handy gemacht, aber darauf kann man leider kaum was sehen, weil die blöde Glasscheibe so spiegelte.
Zuerst sah uns Malea aber überhaupt nicht. Nur die blöde Heinzig glotzte dauernd nach draußen.
Am liebsten hätte ich geschrien: »Hey, Frau Heinzig! Sie haben Ihre Klasse zu beaufsichtigen und nicht die neueste Winterkollektion zu bestaunen, die vor dem Fenster rumturnt!«
Zugegeben, Dodo und ich hatten heute ganz entzückende Wollminis mit bunten Wollstrümpfen und hohen braunen Wildlederstiefeln an.
Aber das konnte ich natürlich schlecht schreien, sonst hätte die arme Malea ja mit Sicherheit ihre Sechs bekommen. Und wir vermutlich reichlich Ärger. Und ob der nette Gerold Grünberg mich dann noch so vorbildlich engagiert gefunden hätte, wäre ebenfalls fraglich gewesen. Also duckten Dodo und ich uns jedes Mal blitzschnell unter das Fenstersims, wenn wir sahen, dass der Kopf von Frau Heinzig sich in unsere Richtung bewegte.
Mir war gar nicht klar, wie sportlich ich bin! Es gehört nämlich einiges dazu, sich, auf einer Leiter stehend, blitzschnell zu ducken, ohne dabei runterzufallen. Dodo auf der zweiten Leiter neben mir traute sich beinahe überhaupt nicht mehr aufzutauchen.
Der Erste, der uns endlich bemerkte, war zum Glück dieser kleine, süße Lasse, mit dem Malea dauernd in den Pausen abhängt. Wäre es ein anderer gewesen, hätte er uns vermutlich verpfiffen. Lasse aber warf nur gekonnt seinen Radiergummi an Maleas Kopf und deutete, als sie böse zu ihm rüberguckte, aufgeregt nach draußen – wo wir grinsend und winkend standen und unsere Nasen zu lustigen Grimassen an der Scheibe platt drückten.
Da wäre Malea – im Gegensatz zu uns – um ein Haar vom Stuhl gekippt! Dabei ist sie doch vom Rest unserer Familie einiges gewohnt! Sollte man jedenfalls denken. Stattdessen aber hat sie geglotzt wie ein verhuschter Kuschelhase
im Raubtierkäfig. Und da tat sie mir natürlich sofort wieder leid, und ich erinnerte mich daran, warum wir hier waren.
Ich deutete ihr wie wild an, dass sie das Arbeitsblatt vor der Scheibe hochhalten sollte, sodass Dodo und ich die Fragen lesen konnten. Glücklicherweise sitzt Malea in jeder Stunde am liebsten am Fenster. (Und glücklicherweise heute allein – Aua, die alte Dumpfbacke, hat wohl gleich vorab aufgegeben und macht zu Hause auf krank…)
Endlich kapierte Malea. Und dann stellte sie sich gar nicht so ungeschickt an, muss ich sagen.
Sie wartete auf einen günstigen Augenblick, als Frau Heinzig gerade mal wieder eine Runde durch den Raubtierkäfig machte und Malea den Rücken zuwandte, und hielt uns das Papier ruhig und deutlich vor die platten Nasen. Dodo und ich hatten abgesprochen, dass Dodo sich die ersten drei Fragen und ich mir die nächsten drei Fragen merken sollte. (Ich glaube kaum, dass sich irgendjemand auf der Welt mehr als drei Fragen am Stück merken kann, oder?)
Als Dodo nickte und ich mir meine drei Fragen zur Sicherheit auch zwei- bis siebenmal durchgelesen hatte, zeigte ich Malea meine Hand mit fünf ausgestreckten Fingern, was heißen sollte »Gib uns fünf Minuten!«, und was Malea dank ihres Spioninnenfimmels auch sofort kapierte.
Ich sag’s ja immer, gutes Training ist das halbe Leben! (Die andere Hälfte machen natürlich angeborene Schönheit und Genialität aus!)
Malea nickte, legte das fast komplett leere Blatt wieder auf ihren Platz, seufzte so tief, dass Dodo und ich es sogar
draußen hören konnten, und tat dann so, als brüte sie über den Antworten.
Alle anderen im Raum waren derartig beschäftigt gewesen mit Schreiben – diese
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