Starters
einer Waffe hatte ich nicht die geringste Chance gegen all die anderen Aufseher und deren Zip-Taser. Dafür einen zu langen Weg zum Ausgang, der ebenfalls von einem Wachtposten kontrolliert wurde. Meine Fluchtmöglichkeiten waren verschwindend gering.
Außerdem wollte ich das Waisenhaus erst dann verlassen, wenn mit absoluter Sicherheit feststand, dass Tyler nicht hier war.
Sobald ich den Hof betrat, hielt ich Ausschau nach Sara. Mädchen rempelten mich an, und jemand boxte mich sogar in den Rücken. Ich stellte mich in die Ecke, wo ich Sara am Vortag gesehen hatte, und wartete. Es dauerte nicht lange, bis sie auftauchte.
»Hast du etwas über meinen Bruder herausgefunden?«, fragte ich.
Sie schüttelte den Kopf. »Leider nein. Aber vielleicht ist er hier, und sie haben seinen Namen geändert.«
Der Gedanke schürte meinen Zorn. Seinen Namen geändert. Konnten sie ihm selbst das Letzte nehmen, was er besaß? Wo war er? Wer befand sich bei ihm?
»Kopf hoch, Callie! Ich zeige dir etwas.«
Sie nahm mich an der Hand und führte mich zu einer vergitterten Öffnung in der Mauer. Nachdem sie sich vergewissert hatte, dass uns niemand beobachtete, ging sie in die Hocke und zog mich mit nach unten.
»Schau!«, wisperte sie.
Wir erspähten durch die Öffnung ein schwarzes Rieseninsekt – einen Heli-Transporter, der auf der Rasenfläche des Haupthofes stand. Hinter der Maschine lehnte eine lange Leiter aus Metall an der hohen Mauer, die das Waisenhaus von der Außenwelt abschirmte. Eine Sekunde lang, eine kostbare Sekunde lang stellte ich mir vor, dass diese Leiter ein Weg in die Freiheit war. Aber auf der breiten Mauerkrone stand ein Ender und flickte den Stacheldraht.
Sara merkte, dass ein Wachtposten von der anderen Seite des Hofes zu uns herüberstarrte, und zog mich hoch.
»Das ist der Helikopter des Old Man«, erklärte sie.
Der Old Man. Hier. Mein Herz schlug schneller. War mein Bruder in seiner Gewalt?
»Bist du sicher?«
»Ich habe die Wachtposten belauscht. Sie sagten, niemand könne sein Gesicht erkennen. Angeblich trug er einen großen Schlapphut.« Sie spreizte die dünnen Finger und legte sie wie eine Krempe um den Kopf.
Sie lächelte. Mir dagegen war elend zumute. »Du willst unbedingt mitgenommen werden, nicht wahr? Ich kann dir das nicht ausreden?«
»Machst du Witze? Ich würde alles tun, um von hier wegzukommen. Und dich nehmen sie bestimmt auch mit. So toll, wie du aussiehst.« Sie strich mir über die Wange.
»Sara, ist es gefährlich, wenn du in eine Schlägerei gerätst? Ich meine, wegen deiner kaputten Herzklappe …«
Sie betrachtete mich mit zusammengekniffenen Augen. »Warum?«
»Wäre es gefährlich?«
»Ich denke nicht. Warum?«
Ich atmete tief durch. »Ich mag dich wirklich sehr, sehr gern. Bitte, vergiss das nie! Und sag dir eines vor: Was immer ich tue, geschieht, weil ich dich zu schützen versuche.«
Sie hielt den Kopf schräg und starrte mich neugierig an. Ihre Ahnungslosigkeit machte es mir umso schwerer, das zu tun, was ich als einzigen Ausweg sah. Ich holte weit aus, ballte die Hand zu einer harten Faust und schlug ihr mitten ins Gesicht.
Sie schrie auf, stolperte rückwärts und fiel zu Boden. »Warum … machst du das?«
Sie rappelte sich hoch und tastete nach ihrer Nase. Blut lief ihr über Mund und Kinn.
»Es tut mir so leid«, wisperte ich.
Und schlug noch einmal zu, um ganz sicherzugehen.
Diesmal kippte sie nicht um. Tränen strömten ihr über die Wangen. Sie sah so gekränkt aus, so verraten, dass es mir fast das Herz zerriss. Die Mädchen in unserer Nähe blieben stehen, umringten uns und fragten, was los sei.
»Ich habe ihr gegeben, was sie verdient«, sagte ich, so laut ich konnte, ohne zu schreien.
Einige forderten einen Zweikampf. Die Schlägerin, der ich die Hand gebrochen hatte, drängte sich in den Kreis. Ich erwiderte ihren Blick und machte mich auf das gefasst, was nun kommen musste.
Los, dachte ich. Bringen wir es hinter uns!
Ich unternahm keinen Versuch, sie aufzuhalten. Sie griff kurz in ihre Tasche und ballte dann die Hand zur Faust. Etwas glitzerte in der Sonne. Im nächsten Moment landete sie einen harten Treffer an meiner rechten Wange.
Der Hieb brannte. Ich taumelte rückwärts, fand aber mein Gleichgewicht, bevor ich zu Boden ging. Mit einem raschen Blick vergewisserte ich mich, dass niemand von hinten angriff (und mir einen Schlag versetzte), und wartete auf den nächsten Angriff. Meine Gegnerin musterte mich misstrauisch, aber
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