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StatusAngst

StatusAngst

Titel: StatusAngst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alain de Botton
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vermehrt Schulden aufnehmen müssen. Steigende Importe und sinkende Exporte führen zum Außenhandelsdefizit, das Übermaß an Investition, an Kon sum, an Schulden und Krediten bringt die Wirtschaft aus dem Gleichgewicht - und sie rutscht ab in die Rezession. Die Preise steigen, weil infolge Spekulation zu viel Geld im Umlauf ist und weil die Produktionskapazitäten nicht mehr effizient genutzt werden können. Verteuerte Kredite erschweren die Rückzahlung der Schulden. Vermögenswerte, die im Aufschwung überbewertet wurden, verlieren ihren Wert. Schuldner werden zahlungsunfähig, und die Kreditbedingungen werden verschärft. Einkommen, Investitionen und Konsum sinken. Firmen und Unternehmen geraten in die Krise oder gehen Bankrott, die Arbeitslosigkeit nimmt zu. In dem Maße, wie das Zutrauen in die Konjunktur sinkt, wird Geld zögerlicher aufgenommen und ausgegeben. Die Langzeitinvestitionen der Aufschwungsphase haben indessen eine Überproduktion bewirkt, die nicht mehr abzusetzen ist und auf die Preise drückt. Firmen und Privathaushalte müssen ihr Tafelsilber zu Dumpingpreisen verkaufen, wodurch sich die Krise verschärft. Kapitalkräftige Investoren warten auf die Talsohle der Rezession und schieben damit die Erholung hinaus.
    Permanente Existenzangst scheint so gesehen weniger ein Zeichen der Hysterie als eine durchaus plausible Reaktion auf die Gefahren wirtschaftlicher Dynamik.

    Prozentuale Schwankungen des Pro-Kopf-Bruttoeinkommens in den USA zwischen 1890 und 2000
     

 
2
     
    Wenn uns die Angst vorm Scheitern verfolgt, dann deshalb, weil die Welt offenbar in unserem Erfolg den einzig verlässlichen Anreiz sieht, uns ihre Gunst zu erweisen. Familienbande, Freundschaft oder sexuelle Anziehung können materielle Anreize manchmal überflüssig machen, aber man muss schon ein unverbesserlicher Optimist sein, um die Befriedigung aller Bedürfnisse mit derlei Kapital decken zu wollen. Menschen lächeln selten, ohne handfeste Gründe dafür zu haben.
     
3
     
    Adam Smith, Untersuchung über das Wesen und die Ursachen des Reichtums der Nationen (Edinburgh 1776):
    »Der Mensch hat fast immer Grund, die Hilfe der Mitmenschen zu beanspruchen. [Allerdings] wird er das vergebens von ihrem Wohlwollen allein erwarten. Er wird viel eher zum Erfolg kommen, wenn er ihre Eigenliebe anspricht ...«
     

 
4
     
    Es wird behauptet, Fleischer, Bäcker und Bierbrauer seien durchaus nicht immer so hemmungslos auf ihren Vorteil bedacht gewesen. Es habe Zeiten gegeben, da sie ihre Waren nicht nur des Geldes wegen herausrückten, sondern weil man ihnen sympathisch oder der flüchtige Bekannte eines Verwandten war. Geldgier, so lautet die These, sei eine neue Entwicklung, ein Produkt des modernen Kapitalismus. In der Feudalzeit, heißt es weiter, sei das finanzielle Interesse viel stärker durch immaterielle Erwägungen im Zaum gehalten worden. Gesinde etwa gehörte im weitesten Sinne mit zur Familie, man brachte ihm, in Maßen, Respekt und Dankbarkeit entgegen. Die christlichen Gebote der Nächstenliebe trugen das Ihre zum Verantwortungsgefühl gegenüber den Schwächsten bei — der unausgesprochenen Verpflichtung, sich ihrer im Notfall anzunehmen.
    Aber dieser patriarchale Zusammenhalt wurde, laut besagter These, in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts durch den Aufstieg der Bourgeoisie zerstört. Die bürgerliche Klasse, durch die Verfügung über Kapital und Technologie zur herrschenden Macht geworden, war nur noch am Reichtum interessiert. Utilitaristisch denkend und bar jeder Sentimentalität, sah der Bourgeois in den Arbeitern lediglich ein Mittel zum Zweck, scherte sich nicht um deren Familien, verweigerte sich der Zumutung der Bedürftigkeit der Alten, Kranken und hohläugigen Kinder. Gleichzeitig wanderte die Landbevölkerung in die Großstädte ab, wo das Gemeinschaftsgefühl bald der Hetze und dem Kampf aller ums Überleben zum Opfer fiel. Das Los der Hilfsbedürftigen wurde noch dadurch verschlimmert, dass die Mächtigen ihre Bindung ans Christentum verloren und damit jeden Respekt vor der Armut und den Werten des menschlichen Zusammenlebens.
    Im Kommunistischen Manifest (1848) beschrieb Karl Marx, der einflussreichste Verfechter dieser These, den Sieg des materiellen Interesses mit visionärer, apokalyptischer Wortgewalt: »Die Bourgeoisie, wo sie zur Herrschaft gekommen, hat alle feudalen, patriarchalischen, idyllischen Verhältnisse zerstört. Sie hat die buntscheckigen Feudalbande, die den Menschen an

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