StatusAngst
doch verifizierten sie unwissentlich seinen Befund. Manche riefen ihre Brüder auf, die Fesseln der Abhängigkeit von europäischem »Luxus« abzuwerfen. In der zweiten Hälfte des 17 . Jahrhunderts versuchten die Delaware im Westen Pennsylvanias und im Tal des Ohio, zur Lebensweise ihrer Ahnen zurückzukehren. Prophezeiungen besagten, die Stämme würden ausgelöscht, wenn sie sich nicht aus dem Würgegriff des Handels befreiten. Aber zu spät: Die Indianer, grundsätzlich nicht anders beschaffen als andere Menschen auch, waren den Lockungen des Tands der modernen Zivilisation erlegen und hörten nicht mehr auf die leisen Stimmen, die von den schlichten Freuden des Gemeinschaftslebens und der Schönheit der stillen abendlichen Canyons raunten.
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Apologeten des Merkantilismus haben für die Freunde indigener amerikanischer Kultur wie für alle, die den verderblichen Einfluss hoch entwickelter Ökonomien beklagen, stets die gleiche Antwort parat: Niemand habe die Indianer gezwungen, Glasperlen, Meißel, Gewehre, Hacken, Kessel und Spiegel zu kaufen. Niemand habe ihnen geraten, ihre Zelte zu verlassen und von Holzhäusern mit Veranda und Weinkeller zu träumen. Die Indianer hätten dem einfachen Leben aus freien Stücken den Rücken gekehrt - vielleicht doch ein Hinweis darauf, dass es mit dem einfachen Leben nicht so weit her war wie behauptet.
Der Einwand ähnelt den Erklärungen heutiger Werber und Zeitungsherausgeber, die versichern, dass sie für das überzogene Interesse am Treiben der Prominenten, an Modetrends und den allerneusten Produkten nicht verantwortlich sind. Es sei vielmehr so, dass gewisse Medien schlicht ihrer entsprechenden Informationspflicht genügten - womit implizit gesagt sein soll, die Mehrheit werde es ohnehin vorziehen, den Bedürftigen zu helfen, in sich zu gehen, Edward Gibbons Verfall und Untergang zu lesen oder die eigene Vergänglichkeit zu bedenken.
Diese Haltung illustriert, warum Rousseau mit solch starkem, wenngleich wenig erbaulichem Nachdruck darauf hinweist, dass Menschen dazu neigen, ihre wahren Interessen zu verkennen und den Einflüsterungen anderer dazu nachzugeben, was sie denken und wertschätzen sollten, um zufrieden zu sein, besonders dann, wenn diese von der Autorität einer großen Zeitung oder der Farbigkeit einer Reklametafel getragen sind.
Ironie also, wenn Werbefachleute und Herausgeber die ersten sind, die den Einfluss ihres Gewerbes herunterspielen. Sie behaupten, ihr Publikum denke selbständig genug, um sich von den Geschichten nicht beeindrucken zu lassen, die sie selbst ihnen vorsetzen, oder gänzlich dem Reiz der Reklametafeln zu erliegen, die sie selbst so kunstvoll entwerfen.
Doch da sind sie ein wenig zu bescheiden. Kaum etwas beleuchtet so grell solches Understatement wie Statistiken zu dem Tempo, in welchem aus einstigen Möglichkeiten - v nach einigem Werbeaufwand - Notwendigkeiten werden.
»notwendige« anschaffungen in den usa ; angaben in P rozent der B evölkerung.
1970
2000
Zweitwagen
20
59
Zweitfernseher
3
45
Mehr als ein Telefon
2
78
Klimatisiertes Auto
11
65
Klimaanlage im Haus
22
70
Geschirrspüler
8
44
Kritiker der Konsumgesellschaft verweisen nicht nur auf die Mängel und den zweifelhaften Nutzen vieler Produkte (wobei gern übertrieben wird; man muss schon sehr kleinlich sein, wenn man einem schönen Kaschmirpullover oder einem bei nächtlicher Autobahnfahrt leuchtenden Armaturenbrett nichts abzugewinnen vermag), sondern auch und vielleicht mit mehr Berechtigung auf den Zerrspiegel unserer Bedürfnisse, den ihre Präsentation abgibt. Die angepriesenen Waren erscheinen uns unentbehrlich und mit erstaunlicher Macht ausgestattet, zu beglücken, weil wir weder ihr wahres Wesen noch unsere eigene Psyche durchschauen.
»Zu verkaufen: Ihr wiederkehrender Wunschtraum«
Die Autowerbung zum Beispiel übergeht stillschweigend wesentliche psychologische Faktoren sowie Aspekte von Besitz, die die Kauflust ihrer Zielgruppe beeinträchtigen könnten. Auf keinen Fall wird sie darauf hinweisen, dass die Freude an Neuerwerbungen oft nur von kurzer Dauer ist. Kaufen dürfte die Methode der Wahl sein, um der obsessiven Beschäftigung mit einem Produkt ein Ende zu bereiten, so wie heiraten, um der Wertschätzung des Partners ein Ende zu setzen. Dennoch kleben wir an der Illusion, dass uns gewisse Anschaffungen dauerhafte Zufriedenheit bringen. Wir glauben, auf der Glücksskala einen großen Sprung nach oben machen und
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