StatusAngst
Kindererziehung gegen die Vergänglichkeit besser als der Vertrieb von Würzmitteln, und einem Freund zu helfen besser als das Befehligen einer Armee.
»Es ist alles ganz eitel«, heißt es im alten Testament (Buch der Prediger, 1.2), »ein Geschlecht vergeht, das andere kommt, die Erde bleibt aber ewiglich bestehen.« Dennoch würden christliche Moralisten dagegenhalten, dass nicht alles gleich eitel sei. Im christlichen Abendland des 16. Jahrhunderts fand die Kunst ein neues Sujet und entzündete zwei Jahrhunderte lang die Phantasie der Kunstliebhaber. Vanitas-Kunst, benannt nach Ecclesiastes, schmückte viele Privatgemächer, vornehmlich die Studier- und Schlafzimmer. Abgebildet waren etwa ein Tisch oder Wandbord, auf dem die gegensätzlichsten Dinge zusammenfanden — Blumen, Münzen, eine Guitarre oder Mandoline, Schachfiguren, Lorbeerkränze und Weinflaschen, Symbole der Frivolität und irdischer Pracht -, und mitten unter ihnen die beiden großen Symbole des Todes und der Vergänglichkeit: ein Schädel und eine Sanduhr.
Zweck dieser Darstellungen war es nicht, den Betrachter an der Eitelkeit alles irdischen Strebens verzweifeln zu lassen; vielmehr sollten sie ihn dazu ermahnen, von gewissen Beschäftigungen abzulassen und sich stattdessen stärker noch den Tugenden der Liebe, Güte, Ehrlichkeit, Demut und Freundlichkeit zu widmen.
Philippe de Champaigne, Vanitas, um 1671
Simon Renard de Saint-André, Vanitas, um 1662
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Nicht nur das Nachdenken über die eigene Vergänglichkeit kann Statusängste mildern, sondern auch der Tod anderer Menschen, insbesondere solcher, die wir um ihre Erfolge beneideten. Mögen wir noch so klein und unbedeutend sein, mögen sich andere noch so sehr in ihrer Macht und Berühmtheit sonnen, stets können wir uns mit dem Gedanken trösten, dass sich am Ende jeder in den Stoff verwandelt, der von allen am demokratischsten ist: in Staub .
1658 stieß ein Farmer beim Pflügen in Walsingham, Norfolk, auf ein Gräberfeld mit fünfzig Urnen aus römischer oder angelsächsischer Zeit. Die Entdeckung löste eine kleine Sensation aus und kam auch einem Arzt aus Norwich zu Ohren. Wenig später veröffentlichte Sir Thomas Browne eine Schrift, in welcher er die Entdeckung zum Anlass für weitschweifige Meditationen über die Sinnlosigkeit jedes Strebens nach Größe und die Unzulänglichkeit des Menschen nahm, um schließlich zu verkünden, dass der Mensch nur durch Gott zur Erlösung gelangen könne: »Urnen-Begräbnis oder Ein kurzer Traktat betreffend die TotenUrnen welche neulich in Norfolk aufgefunden.«
»Auf einem Ackerflecken von Old Walsingham trug es sich vor nicht sehr vielen Monaten zu, dass zwischen vierzig und fünfzig Urnen ausgegraben wurden«, berichtet Browne in seinem knorrigen Englisch, »nachdem sie dort in trockenem und sandigem Erdreich geruht, kaum ein Klafter tief, keine weit von der anderen entfernt ... manche gefüllt mit zwei Pfund Knochen, welche sich in Schädel, Rippen, Kiefer, Schenkelknochen und Zähne unterteilten.«
Am meisten faszinierte Browne der Gedanke, dass sich die Spur dieser Menschen, zu ihrer Zeit offenbar die mächtigsten und reichsten der Gegend, im Verlauf der Jahrhunderte völlig verloren hatte. Manche meinten, es habe sich um Römer aus der nahe gelegenen Garnison gehandelt, doch Browne vermutete in dem Staub die Überreste »unserer britischen, sächsischen oder dänischen Vorväter«. Dennoch würden ihre Namen immer im Dunklen bleiben wie auch das Jahrhundert ihres Todes. Hieran schloss Browne Betrachtungen zu der Unerbittlichkeit an, mit der die Zeit all unserem Streben nach irdischer Größe hohnspreche: »Wer weiß um das Schicksal seiner Gebeine, oder wie oft sie mögen verscharrt werden?«,fragte er mit Blick auf die Knochen der Edelleute, die sich einst ihres Ranges sicher wähnten, Feste feierten, die Laute schlugen und am Morgen voller Zuversicht in den Spiegel schauten. »Es gibt kein Mittel gegen das Opium der Zeit ... Generationen gehen dahin, während manch Baum nicht wanket, und alte Geschlechter währen nicht länger als drei Eichen.« Nach Brownes Auffassung sollte ein aufrechter Christenmensch nicht danach streben, irdischen Ruhm zu erlangen und einen Eindruck im menschlichen Gedächtnis zu hinterlassen, sondern nur danach, »in Gottes Stammbuch« verewigt zu werden.
Die Botschaft scheint trist, doch ist sie es vermutlich eher für die, die noch immer den Freuden eines gehobenen Status nachjagen, als
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