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StatusAngst

StatusAngst

Titel: StatusAngst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alain de Botton
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den Tischen vorbeitrugen. Leider erklärt er nicht, was den Anwesenden demonstriert werden sollte. Sollten die Gäste durch die Konfrontation mit dem Tod zu noch tollerem Treiben angestachelt werden, oder sollten sie erschrecken und, nachdenklich geworden, nach Hause gehen?
    Der Gedanke an den Tod vermag uns den Weg zu dem zu weisen, was uns Herzensbedürfnis ist, ob es sich nun um den Sundowner am Nil handelt, das Buch, das geschrieben, oder das Glück, das gemacht werden will, und uns zugleich ermutigt, weniger auf das Urteil der anderen zu geben, die uns das Sterben schließlich nicht abnehmen werden. Die Gewissheit, dass wir sterben müssen, könnte uns zu einer Lebensweise verhelfen, wie sie uns wirklich vorschwebt.
    Genau dieser Gedanke inspirierte den englischen Dichter Andrew Marvell zu seinem berühmten Versuch, eine zaudernde Herzensdame mit Versen ins Bett zu locken, die nicht nur ihre Schönheit und Treue beschwören, sondern daneben auf die weniger romantische Tatsache verweisen, dass sie und er allzu bald diese Welt verlassen müssten. Da die Angebetete in An seine scheue Geliebte (1681) offenbar befürchtete, ihre Ehre zu verlieren, wenn sie ihren Wünschen nachgab, beschwor Marvell des Gespenst des Todes, um sie von der übertriebenen Rücksicht auf ihre Stellung abzubringen. Ihre Zurückhaltung wäre kein Vergehen, versichert ihr der Dichter, gäbe es da nicht diesen Umstand:
     
    Von hinten hör ich stetig nahen
    den Wagen der Zeit auf schnellen Schwingen;
    und vor uns ausgebreitet liegen
    die Wüsteneien der Ewigkeit ...
    Im Grabe ist's wohl still und kühl,
    doch ist's kein Ort für Liebeslust.
     
    Auch Shakespeares Verführungskünste bedienten sich der Erinnerung an den Tod. In vielen Sonetten drängt er eine Geliebte, des Augenblicks zu gedenken:
     
    Wenn vierzig Winter einst dein Haupt umnachten,
    Und tief durchfurchen deiner Schönheit Feld,
    denn
    Dann ist dein Jugendflor, wonach wir jetzt so trachten,
    Ein mürbes Kleid, das unbemerkt zerfällt.
     
     
    Wiewohl der Gedanke an den Tod missbraucht werden kann (um andere zu kopflosen Handlungen zu treiben, die ihren Wünschen widersprechen), vermag er uns doch auch zu der Erkenntnis zu verhelfen, dass wir unsere wahren Anliegen nicht länger aufschieben sollten. Der Gedanke an den Tod macht uns eventuell Mut, uns zumindest von den überflüssigen Erwartungen der Welt zu lösen. Denn im Angesicht eines Totengerippes verliert das drückendste Fremdurteil erstaunlich schnell seinen Schrecken.
     

 
5
     
    Bei allen Unterschieden zwischen der christlichen und der weltlichen Beurteilung dessen, welche Bemühungen im Lichte der Sterblichkeit von Belang sind, herrscht doch weit gehende Einigkeit darüber, dass es vor allem auf Liebe, auf echte menschliche Beziehungen, auf Mitmenschlichkeit ankommt und das Streben nach Macht, Stärke, Geld und Ruhm zu verdammen ist. Es gibt offenbar Bemühungen, die neben dem Tod generell keine gute Figur mehr abgeben.
    An anderer Stelle erzählt Herodot vom Perserkönig Xerxes, der, nachdem er 480 v. Chr. mit fast zwei Millionen Mann Griechenland glücklich überrannt hatte, zunächst vom Siegestaumel ergriffen wurde, als er sah, dass die Schiffe seiner Flotte den Hellespont durchmaßen und sich seine Regimenter bis zum Horizont erstreckten. Doch schon im nächsten Augenblick musste er weinen. Dies erstaunte seinen Onkel Artabanus, der neben ihm stand, und er fragte Xerxes nach dem Grund. Der erwiderte, ihm sei soeben klar geworden, dass jeder einzelne dieser unzähligen Soldaten und Seeleute, mit deren Hilfe er die Welt in Angst und Schrecken versetzt habe, in hundert Jahren tot sein werde.
    Dieselbe Trauer und dieselbe Skepsis gegenüber dem Wert mancher Errungenschaften könnte einen befallen, wenn man das Foto einer Vertreterkonferenz des Ketchup-Herstellers Heinz betrachtet, das 1902 in Chicago entstand.
     

    Heinz-Vertreter beim Abschlussbankett einer Vertreterkonferenz, Chicago 1902
     
    Man kann sich die ehrgeizigen Pläne zur Umsatzsteigerung lebhaft vorstellen, die dort verkündet wurden - und mag ebenso bitterlich weinen wie Xerxes, König von Persien.
    Die Entwertung so vieler Bemühungen durch den Tod wird offenkundig nicht nur bei der Eroberung fremder Länder oder dem Aufbau von Marken. Der Anblick einer Mutter, die ihrem pausbäckigen Kind beibringt, wie man die Schnürsenkel knotet, mag uns bei der Vorstellung ihrer beider Begräbnisse ebenso viele Tränen entlocken. Und doch behauptet sich die

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