Staustufe (German Edition)
noch ein Stück am heimischen Steg vorbei, bevor sie aufhören durften. Sebastian war am Ende mit knapper Not der Dritte von vieren, obwohl er als Vierter ins Wasser gegangen war. Er war höllisch erschöpft, aber zufrieden mit sich. Nur Annegret meckerte.
«So, Jungs! Wollt ihr wissen, wie schlecht ihr wart? Ihr habt um die vierundvierzig Minuten gebraucht. Für acht Kilometer, nicht neun. Beim Armadacup wärt ihr ganz weit hinten gelandet.»
«Ach Mann», beschwerte sich Dmitry, schwer atmend, «die hatten aber auch besseres Wetter!»
«Ihr wisst nicht, was ihr nächstes Jahr für Wetter bekommt. Ich melde euch erst an, wenn ihr die acht Kilometer konstant unter einundvierzig schafft. Und zwar alle. Für ein, zwei Hansel lohnt sich die Fahrt in die Schweiz nicht. Jetzt die gute Nachricht: Nächsten Mittwoch und am Freitag machen wir dasselbe noch mal. Nun bitte ausrudern und ab in die warme Stube!»
Im Clubhaus rissen sie sich die nassen, stinkenden Anzüge vom Körper. Sie waren todmüde, aber ausgelassen. Ob einer von ihnen über eine Leiche gefahren sei, wollte Dmitry wissen. Es gebe ja jetzt so viele davon im Main. Alle grölten. Von draußen brüllte Annegret im üblichen Kasernenton: «Männer, seid ihr anständig angezogen?»
«Zu Befehl, sind wir», rief Sebastian zurück, der sich gerade eben die Unterhose übergestreift hatte.
Annegret betrat mit einem Tablett den Raum. «Heiße Schokolade mit Schuss für die Helden», verkündete sie. «Das nennt ihr anständig angezogen? Da geht man als Frau lieber gleich wieder.»
«Was heißt hier Frau? Ich sehe hier keine Frauen», witzelte Dmitry, um Annegret zu ärgern, die mit einem bösen Blick sofort entschwand.
Zum Glück ließ sie das Tablett da.
Gabor, der schon fertig angezogen war, nahm sich einen Becher, lehnte sich auf der Bank genüsslich stöhnend zurück und verkündete großspurig: «Wisst ihr, dass ich die eine Mainleiche persönlich kenne?»
«Wie, echt jetzt?», fragte Dmitry verdutzt.
«Klar. Das Mädchen.»
«O Mann, du Angeber», lästerte Sebastian.
«Nee, echt. Die hat am Tag vorher bei uns geklingelt. Also, bevor sie abgesoffen sein muss. Vorletzten Freitag.»
«Die ist nicht abgesoffen», beschwerte sich Henning, das vierte Mitglied ihrer Mannschaft. «Die hatte irgendwelche Verletzungen und war vorher schon tot. Hab ich heute früh erst gelesen.»
«Dann war sie halt vorher schon tot. Jedenfalls hat die bei uns geklingelt, und ich hab aufgemacht. Ich schwör.»
«Wie krass ist das denn!», kommentierte Dmitry.
«Und», fragte Sebastian, «was wollte sie?»
«Hat ein Märchen erzählt, von wegen sie wär die Enkelin von unserem Opa. Ich denk so, ey, was ist denn mit der los, hab sie aber reingelassen und hab dann meine Mutter geholt. Und die meinte zu ihr, da müsste sie sich wohl täuschen. Sie hat sie dann gleich wieder vor die Tür gesetzt. Dann haben wir aus dem Fenster noch gesehen, wie die nach nebenan zum nächsten Haus ging. Meine Mutter meinte, das wär voll die Betrugsmasche. Die würde halt hoffen, dass sich irgendein altes veralzheimertes Ömchen findet, das drauf reinfällt und ihr ganz viel Geld gibt.»
Henning sah wieder zweifelnd drein. «Sag mal, woher weißt du überhaupt, dass die das war? Also, die hinterher im Main lag? Das kannst du doch gar nicht wissen.»
«Na klar war die das! Da hängen doch die ganzen Plakate am S-Bahnhof. Die hatte genauso einen schwarzen Vampirumhang an wie auf dem Foto. Es werden wohl kaum zwei von der Sorte rumgelaufen sein in der Zeit.»
«Ach so, klar. An der S-Bahn bin ich so selten, ich nehm ja die Straßenbahn zur Schule. Ey sag mal, müsstet ihr das nicht der Polizei melden? Dass die bei euch geklingelt hat und so? Das war doch immerhin ihr Todestag.»
Gabor schlürfte an seinem Kakaobecher und zuckte mit den Schultern. «Also, uns hat keiner gefragt. Sollen die Cops doch vorbeikommen, wenn sie was wissen wollen. Außerdem interessiert die das eh nicht.»
«Das kannst du doch gar nicht entscheiden», urteilte Dmitry.
«Also, ich find aber auch», mischte sich nun Sebastian ein. «Dazu hängen doch die Plakate am S-Bahnhof: damit man sich meldet, wenn man das Mädchen gesehen hat.»
Gabor hob abwehrend seine freie Hand. «Ist ja gut», lenkte er ein. «Ich sprech mal mit meiner Mutter. Vielleicht schreiben wir ’ne Mail an die Polizei. – Äh, übrigens, Basti, war die Tusse nicht auch bei euch? Hab ich nämlich noch gedacht, als ich die zum nächsten Haus
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