Staustufe (German Edition)
weitergehen sah: Die wird sich bestimmt bis zu Bastis durchklingeln.»
Gabor wohnte in einer noblen Eigentumswohnung in einer der schönen, großen Backsteinvillen am Mainufer, keine hundert Meter von dem bescheidenen Reihenhaus der Stolzes.
«Nö, bei uns war die nicht. Also, nicht dass ich wüsste. Wann war das denn genau?»
«An dem Freitagnachmittag so um drei oder vier.»
«Da war ich nicht da. Erst hatte ich Theater-AG, und dann bin ich gleich weiter zu einem Geburtstag. Ich frag mal meine Eltern, ob die bei uns war.»
Sebastian fiel erst auf dem Nachhauseweg ein, dass er Freitag vor einer Woche doch einmal kurz zu Hause gewesen war. Um fünf ungefähr. Er hatte bloß seine Schulsachen abgelegt. Der ältere Bruder des Geburtstagskindes, Steffen, ebenfalls in der Theater-AG, hatte ihn mitgenommen und draußen im Auto gewartet. Sebastians Mutter hatte bei seinem kurzen Hereinsehen besonders verhuscht gewirkt. Und sie hatte etwas Merkwürdiges gesagt: «Dein Vater hat Besuch.» Das kam nie vor. Sebastian hatte das hinterher total vergessen. Erst die Party, der viele Alkohol. Und nach dem Aufstehen am nächsten Morgen dann die Kripo, die sich nach ungewöhnlichen Beobachtungen in der Nacht erkundigte, weil eine Wasserleiche gefunden worden war. Von dem freitäglichen Besuch hingegen war zu Hause nie wieder die Rede gewesen.
Als Sebastian jetzt darüber nachdachte, wurde ihm klar, wer das gewesen war. Nicht etwa das tote Mädchen. Sondern der rätselhafte Werner Geibel, nach dem seine Mutter ein paar Tage später hatte googeln wollen. Stammkunde seines Vaters und mysteriöserweise Exbulle. Der Besuch von Geibel war der Grund für Mams Aufregung in der darauffolgenden Woche gewesen. Aber worum es eigentlich ging bei der ganzen Sache, das hatte sie ihm noch immer nicht gesagt.
Jetzt würde er sie fragen. Es reichte ihm. Entschlossen drückte er zu Hause auf den Klingelknopf. Zu seiner Überraschung öffnete sein Vater. Das war unüblich, sehr unüblich. «Komm herein», sagte der Vater scharf, schloss dann die Tür hinter Sebastian ab und steckte den Schlüssel ein. Sebastian staunte. Was ging denn hier schon wieder ab?
«Ähm, Papa, ist irgendwas?»
«Wo ist deine Mutter?» Der Vater sprach wieder scharf, aber mir unterdrückter Lautstärke.
Sebastian war perplex. «Wie, ist Mama nicht da? Also, als ich gegangen bin, war sie noch …»
«Du weißt nichts?»
«Nein! Was soll ich denn wissen?»
«War etwas Ungewöhnliches, bevor du gegangen bist?»
«Papa! Nein! Bitte sag mir, was los ist.»
«Nicht so laut. Komm mit.»
Der Vater griff Sebastian hart am Arm. Er ließ ihm keine Zeit, sich die Jacke auszuziehen, sondern zerrte ihn direkt in sein Heiligtum, das Büro, das gewöhnliche Sterbliche nur selten und in seiner Anwesenheit betreten durften. Sebastian gab einen Schreckenslaut von sich, als er die zerstörte Terrassentür und die hunderttausend Glaskrümel auf dem Boden bemerkte. Durch die Türöffnung wehte ihm ein kühler Zug entgegen. Doch die Luft war fast befreiend.
«Kannst du mir hierzu irgendetwas sagen?», fragte ihn sein Vater in demselben aggressiven, aber leisen Ton.
«Nein, Papa, natürlich nicht, ich hab keine Ahnung. Was um Gottes willen ist denn passiert?»
«Ich hoffe, dass du mir nichts vorspielst.» Der Vater schüttelte Sebastian am Arm. Seine Augen – sie waren so starr. Sebastian bekam eine Gänsehaut. Es war nicht die Kälte. Er hatte Angst.
«Wo ist Mama?»
«Das wüsste ich ja eben auch zu gern. Deine Mutter war nicht aufzufinden, als ich nach Hause kam.»
«Aber …» Sebastian deutete hilflos auf die kaputte Tür. «Das – sie ist überfallen worden! Einbrecher. Scheiße, haben die Mama als Geisel genommen? Entführt? Verdammt! Hast du die Polizei angerufen?»
«Nichts dergleichen werde ich tun. Das ist eine interne Sache, Sebastian, wehe dir, wenn du irgendetwas ausplauderst.»
«Eine interne Sache? Was soll das denn heißen?»
«Eine Sache zwischen deiner Mutter und mir. Davon gehe ich aus. Sie war da, als du gegangen bist?»
«Ja. Ja, ganz normal. Alles war ganz normal. Papa, bitte, du musst die Polizei anrufen!»
«Möglicherweise will sie genau das erreichen. Ich weiß nicht, was für ein Spiel sie spielt, aber ich habe die ganze Woche schon gemerkt, dass sie etwas im Schilde führt. Zu deinen und meinen Ungunsten, Sebastian. Deine Mutter ist eine schwache Person. Manchmal setzt einfach ihr Gehirn aus.»
«Papa!» Sebastian schrie fast. «Worum geht
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