Staustufe (German Edition)
montiert, die ungefähr die Statur des Opfers besaß. «Um nichts zu suggerieren», sagte Winter, «sollten wir ohne das Foto beginnen. Holen Sie es erst in der zweiten Phase raus oder wenn gar nichts kommt.»
«Verraten wir, dass das Mädchen Opfer eines Verbrechens wurde?»
«Es lohnt nicht, das zu verschweigen. Der Täter weiß es sowieso und auch dass wir es wissen. Die anderen werden es spätestens morgen aus der Presse erfahren. Halten Sie das also, wie Sie wollen. Hauptsache, Sie kriegen möglichst viele Informationen aus den Leuten heraus. Bloß die Art der Verletzungen müssen wir unbedingt unter Verschluss halten. Falls wir später ein Geständnis auf Täterwissen überprüfen müssen.»
«Natürlich. Okay, Chef», sagte Aksoy und öffnete die Wagentür.
«Frau Aksoy?»
«Ja?»
«Wenn Sie den Eindruck haben, Sie haben einen Verdächtigen vor sich, dann beenden Sie das Gespräch möglichst schnell und holen Sie mich.»
«Also auch keine Belehrung?»
«Nein. Nein, diese Form von Konfrontation machen wir besser zu zweit.»
Sie stiegen aus. Das Wetter war sehr viel milder als gestern. Die sanfte Brise roch seltsamerweise nach Meer.
An den teils heruntergekommenen Klingelschildern des Hauses standen nur zwei Namen, die deutsch klangen, und zwar im Erdgeschoss. Ansonsten waren hier alle Nationen vertreten. Winter identifizierte Türkisch, Jugoslawisch oder wie auch immer es sich heute nennen mochte, Arabisch, Griechisch, Italienisch und irgendwas Indisches. «Die Türken übernehmen am besten alle Sie», sagte er leise zu Aksoy. Sie nickte.
Auf den zweiten Blick bezweifelte Winter, dass das eine gute Idee gewesen war: War es nicht so, dass türkische Männer weibliche Polizisten nicht ernst nahmen?
Darüber ließ er sich jetzt aber lieber nicht aus. Die Aksoy hatte auch schon auf zwei Klingeln zugleich gedrückt. Der Summer ging. Sie drückte die Tür auf und lief die Treppe hoch, zu den Türken im ersten Stock.
Winter nahm sich als Erstes die Erdgeschosswohnungen vor, die mit deutschen Klingelschildern. Von diesen Mietern versprach er sich am meisten. Laut dem Bericht des Pathologen war das Opfer nämlich keine Südländerin. Die Haare hatten sich getrocknet und gereinigt als mittelblond erwiesen, die Haut war sehr hell. Osteuropäerin, zur Prostitution hier war Winters erster Gedanke gewesen. Aber nachdem sie ja Jungfrau war, hatte er das Mädchen vorläufig als Deutsche klassifiziert. Deshalb war ein deutscher Täter am wahrscheinlichsten.
Hinter der ersten Tür im Erdgeschoss, mit dem für Mörder passenden Namen «Manteufel» beschildert, verbarg sich allerdings kein angetrunkener, vierschrötiger Schlägertyp. Sondern es öffnete eine Frau mittleren Alters, die so übergewichtig war, dass sie kaum gehen konnte. Ihre strähnigen dünnen Haare hatte sie zu einem winzigen Knötchen oben auf dem Kopf zusammengesteckt. Winter glaubte der desinteressiert wirkenden, zeltartig gekleideten Person, dass sie von keinem mittelblonden Mädchen zwischen sechzehn und achtzehn im Haus oder der Umgebung wisse. Winter glaubte ihr auch aufs Wort, dass sie alleine lebe. Er vermisste schmerzhaft Gerd, mit dem er bezüglich der Dicken sicher irgendeinen plumpen Scherz ausgetauscht hätte, um den Stress der Mordermittlung aufzulockern. Mit der Aksoy ging das natürlich nicht.
Die Wohnung gegenüber der Dicken schien auf den ersten Blick interessanter. Zumindest gehörte bei «Klinger/Rölsch» ein Mann zum Haushalt. Winter sah diesen erst, als er, geführt von Frau Rölsch, ein geräumiges Wohnzimmer betrat. Die Wände waren orangemeliert gestrichen nach der neuesten Mode der Deko-Doku-Soaps. In der Schrankwand stand kein einziges Buch, aber es mangelte nicht an Freizeitelektronik. Der Herr des Hauses saß mit Bier in der Hand vor einem großen Fernseher, in dem auf höchster Lautstärke Werbung lief. Ein kleines Kind von etwa zwei Jahren krabbelte vor dem Fernseher auf dem Boden herum, Schnuller im Mund. Auf dem Sofa neben dem Mann lag ein großer Schäferhund.
«Stefan, die Polizei», sagte die Frau, «wegen der Wasserleich.» Der Mann sah mit halbem Blick herüber. Winter zeigte nochmals seine Dienstmarke und stellte seine Fragen. Der Hausherr machte keinerlei Anstalten aufzustehen, Winter einen Platz anzubieten oder den Fernseher leiser zu stellen. «Nä», sagte er schließlich. «Hier im Haus ham wir keine in dem Alter. Hier irgendwo im Block, kann schon sein. Was weiß ich. Die sehen doch alle gleich
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