Staustufe (German Edition)
gehen müssen.
Keine zwei Minuten später, Lena saß im Schlafzimmer auf dem Bett, hörte sie es im Flur trippeln. Ohne weitere Vorwarnung öffnete sich die Tür, das Mädchen erschien, in einem langärmeligen T-Shirt und Leggins. Lena hoffte, dass man in dem schlechten Licht die Spuren ihrer Tränen nicht sah.
«Sind Sie wirklich die Frau vom Nino?», sagte das Mädchen neugierig-herablassend und schob gleich hinterher: «Ich kann das irgendwie nicht richtig glauben.»
Lena dachte einmal wieder, sie höre nicht recht.
«Bin ich aber», sagte sie hilflos-trotzig.
«Wie alt sind Sie?» Das Mädchen stand immer noch in der Tür, die eine Hand an der Klinke, in etwas koketter Haltung.
«Achtunddreißig.»
«Echt? Sie sehen aber viel älter aus.» Jeannette lächelte böse, schloss die Tür und verschwand.
Lena schnappte nach Luft, dann kamen ihr wieder die Tränen. Sie holte sich ein neues Taschentuch, versuchte, sich zu beherrschen. Sie musste da irgendwie durch.
Als Nino vom Essenholen zurückkam, sah er nicht mal bei ihr herein, sondern ging direkt ins Gästezimmer. Es war sehr spät, als er schließlich ins Schlafzimmer trat.
«Ich schlaf natürlich bei dir», sagte er. «Sag mal, hast du geweint?»
«Ja. Ich find die Situation ganz furchtbar.» Ihr schossen wieder Tränen in die Augen.
«Aber ich hab dir doch gesagt, ich hab nichts mit ihr! Deshalb hab ich sie doch auch mitgebracht, damit du siehst …»
«Du hast nichts mit ihr, bis auf die Tatsache, dass sie für dich im Moment der wichtigste Mensch auf der Welt ist. Das ist es, was wehtut. Übrigens ist sie einfach Scheiße. Als du vorhin weg warst, kam sie plötzlich her, von wegen schüchtern, hat nicht mal geklopft und mich ganz schnippisch gefragt, ob ich denn wirklich deine Frau wäre.»
«Na ja, sie wundert sich halt, weil zwei Namen an der Tür stehen. Lenchen, ich weiß nicht, du verstehst sie ganz falsch. Ich hatte ihr vorhin gesagt, du sagst, sie hätte dich im Flur nicht gegrüßt. Da meinte sie, sie hat sich bloß so geschämt, weil sie noch nicht fertig geschminkt war. Sie sagt, sie findet dich total nett.»
Lena gab ein sarkastisches Geräusch von sich. «Sag mal, Nino, merkst du nicht, wie sie dich manipuliert?»
Ein Wort gab das andere. Sie stritten sich wie noch nie, seit sie zusammen waren. Lena fand es entwürdigend, die Rolle der eifersüchtigen Frau zu spielen. Später wusste sie weder, was sie, noch, was Nino alles gesagt hatte. Er war es, der den Streit irgendwann beendete: «Lena, lass uns aufhören, wir tun uns nur gegenseitig weh.» Lena dachte, immerhin kann ich ihm noch wehtun. Und Nino versprach, das Mädchen am nächsten Tag vor die Tür zu setzen, es noch zu dem Meldeamtstermin zu begleiten, aber dann sei Schluss, dann werde er sie nie mehr wiedersehen.
Trotzdem tat Lena in der Nacht kein Auge zu. Sie wälzte sich im Bett hin und her, konnte die immer wieder aufquellenden Tränen nicht kontrollieren. Sie war so verletzt. Nino griff oft nach ihrer Hand, wirkte enttäuscht, dass sie sich nicht trösten ließ. Aber sie konnte nicht.
Am nächsten Morgen waren sie beide an Seele und Körper verkatert. Sie standen um sieben auf, weil sie im Bett sowieso keine Ruhe fanden.
«Ich wecke Jeannette jetzt auch gleich», verkündete Nino. «Sie braucht morgens immer Stunden, und der Termin beim Meldeamt ist um zwölf.»
Sie braucht morgens immer Stunden. So gut kannten sich die beiden also schon.
Nino verschwand im Gästezimmer, kam nur heraus, um Serviceleistungen für Jeannette einzufordern, genau wie am Vorabend: «Jeannette braucht einen Kulturbeutel. Hast du so was?» – «Jeannette braucht ein paar Hosen, kannst du ihr ein Paar von deinen Jeans geben?» Mademoiselle bekam auch frische Brötchen vom Bäcker sowie ein jungfräuliches Glas Marmelade und Honig von ebenda, weil die angebrochenen Gläser aus dem Kühlschrank ihr zu «dreckig» waren. Ninos Stimme klang nach wie vor liebevoll, wenn er mit dem Mädchen sprach. So viel bekam Lena hinter der angelehnten Tür mit. Als Jeannette das Bad bezog, verlangte sie über Nino frische Handtücher (wegen des gestrigen Landunter im Badezimmer waren aber keine mehr da) sowie eine weitere neue Seife, weil die alte jetzt dreckig sei. Lena hatte die Seife samt darinsteckendem, halbgerauchtem Zigarettenstummel als Vorwurf genau so belassen, wie sie sie vorgefunden hatte. Sie konnte sich jetzt nicht verkneifen, Nino zu sagen, was sie von dem Wunsch nach neuer Seife
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