Staustufe (German Edition)
ausgestattet. Nino erschien nun mit einem schwarzen Seesack, geschmückt mit dem Emblem eines teuren Outdoor-Herstellers, in der Küche.
«Kannst du Jeannettes Klamotten waschen, während sie badet?»
Lena reichte es. «Tut mir leid, Nino, das musst du selber machen. Die grüßt mich nicht mal im Flur; ich habe absolut keine Lust, für sie das Dienstmädchen zu spielen.»
«Sie ist halt sehr schüchtern. Aber okay, du hast recht. Warum solltest du das übernehmen. Ich mache die Wäsche, aber vielleicht hilfst du mir sortieren. Oder soll ich einfach alles bei vierzig Grad …?»
«Nimm dreißig, da kann nicht viel passieren. Nino, ich hab einen Vorschlag. Geh in den Waschsalon, an der Haltestelle Am Linnegraben ist einer. Die haben extragroße Trommeln, und da bekommst du das Zeug auch gleich wieder trocken.»
Nino nahm den Vorschlag an.
Währenddessen nahm Jeannette das Bad in Dauerbeschlag. Zwischenzeitlich hörte man sie singen. Nach einer Stunde musste Lena aufs Klo, schlich sich wieder und wieder zum Bad, um zu sehen, ob die Tür noch verschlossen sei. Einmal fragte sie Jeannette durch die Tür, wie lange sie wohl noch brauchen werde, erhielt aber keine Antwort. Nach und nach begann sie, sich Sorgen zu machen. Lag das Mädchen mit aufgeschnittenen Pulsadern in der Wanne?
Über zwei Stunden waren vergangen, als Lena wieder einmal nachsehen wollte. Da verließ Jeannette gerade das Bad, schwarz gekleidet, die Haare noch nass. «Na, bist du –», begann Lena, aber da war das Mädchen schon wortlos an ihr vorüber, mit einem Seitenblick, der sagte: Wie lästig, dass man hier immer fremde Leute im Flur trifft.
Das Bad stand mehrere Zentimeter tief unter Wasser. Die Wände und Schränke troffen, es gab keinen trockenen Fleck, selbst die gesamte Großpackung Klopapier war durchgeweicht. Handtücher schwammen in einem pitschnassen Haufen auf dem Boden. Es roch penetrant nach Lenas eigenem Parfüm, White Linen ; das Fläschchen lag ausgeleert neben dem Handtuchhaufen.
Lena brauchte alle im Schrank noch vorhandenen frischen Handtücher, um das Bad trocken zu bekommen. Beim Wischen fiel ihr Blick auf den Seifenhalter: In der von Jeannette gewünschten neuen Seife stak eine ausgedrückte Filterzigarette.
Als Nino vom Waschsalon zurückkehrte, holte Lena ihn ins Schlafzimmer und sagte ihm leise, dass sie nicht glaube, Jeannettes Anwesenheit drei volle Tage ertragen zu können. «Die benimmt sich unmöglich. Lässt sich hier bedienen wie im Hotel. Im Bad hat sie totales Chaos angerichtet. Und würdigt mich dann keines Blickes, wenn sie mich im Flur trifft. Ich hab sie zweimal angesprochen, sie hat nicht reagiert.»
«Ich sag doch, sie ist schüchtern. Und sie ist es halt nicht gewohnt, bei andern Leuten zu sein. Das gibt sich bestimmt bald. Ich hol ihr und mir jetzt gleich was beim Thailänder um die Ecke, willst du auch was?»
Ihr und mir? Die Formulierung passte Lena überhaupt nicht. Sie schluckte. «Nein», sagte sie. «Ich hab vorhin gegessen.» Mehr schlecht als recht. Sie war viel zu gestresst, um Appetit zu haben.
Aus der Ferne rief es mit zarter, heller Mädchenstimme: «Nino! Nino!»
«Ich muss jetzt zu Jeannette», sagte er.
Er verschwand für lange Zeit im Gästezimmer, dessen Tür verschlossen blieb. Einmal schlich Lena sich hin, lauschte. «Guck mal, was hab ich denn hier unten am Bein, ist das schlimm?», hörte sie die Stimme des Mädchens, hell und unschuldig. Was Nino antwortete, verstand sie nicht, aber seine Stimme klang warm und liebevoll.
Das war der Moment, wo Lena endgültig die Sicherungen durchbrannten. Sie wankte ins Schlafzimmer, voller Zorn und Verzweiflung, und fing an zu weinen. Es war aus und vorbei. Nach dem billigsten Klischee, wegen einer Jüngeren, die an Ninos Beschützerinstinkt appellierte und nicht einmal ein netter Mensch war. Gott, es war so traurig. Wie konnte er ihre große Liebe aufs Spiel setzen, bloß weil seine Hormone verrückt spielten?
Irgendwann hörte sie Nino rasch durch den Flur gehen, die Haustür öffnen und wieder schließen – auf dem Weg zum Thailänder wahrscheinlich. Noch niemals zuvor in all den Jahren hatte er die Wohnung verlassen, ohne Lena zu umarmen und zu küssen. Sie zwang sich, mit dem Weinen aufzuhören, tupfte sich die Tränen ab. Morgen würde sie Nino vor diese abgedroschene Wahl stellen, sie oder ich, und dann würde es sich so oder so entscheiden: Das Mädchen würde gehen, und wenn Nino das nicht passte, dann würde er ebenfalls
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