Staustufe (German Edition)
hat wohl mal eine Zeitlang bei ihm gepennt. Es ist nur so, ich weiß nicht, ob der Lust hat, mit der Polizei zu sprechen. Kann ich – also, ich würde ihn fragen, und wenn er nicht mit Ihnen reden will, dann kann er mir vielleicht trotzdem ein paar Infos geben. Ich würde Sie dann anrufen. Ist das okay?»
«Ja. Tun Sie das. Übrigens würden wir Ihrem Freund natürlich Diskretion zusichern. Er kann sich, wenn er will, gern auch anonym an uns wenden. Auf der Karte ist eine Mailadresse. Am besten geben Sie mir auch noch Ihre Telefonnummer. Es kann sein, dass wir irgendwann eine sehr konkrete Frage zu der jungen Frau haben, die uns ihr Freund möglicherweise beantworten kann. Dann würde ich Sie gerne kontaktieren. Wollen Sie mir Ihre Nummer auf die Karte schreiben?» Aksoy reichte dem Mädchen einen Kuli und eine ihrer Karten. Während sie schrieb, kamen die anderen aus der Gothic-Gruppe herbeigeschlendert.
«Das ist meine Handynummer», murmelte das Mädchen. «Meine Eltern müssen das jetzt nicht unbedingt wissen. Dass ich mit der Polizei in Kontakt bin. Sie verstehen.»
«Sicher verstehe ich», lächelte Aksoy und nahm die Karte entgegen. Sie warf einen kurzen Blick darauf. In künstlerisch gezierter Mädchenschrift stand über der Nummer: Sara Winter.
«Sie haben uns jetzt doch neugierig gemacht», sagte der geschorene Sprecher der herannahenden Gruppe. «Was ist denn nun mit Miss Ritz? Wer vermisst die denn?»
«Ihre Familie suchen wir noch», sagte Aksoy. «Um ehrlich zu sein, wir fürchten, dass sie einem Verbrechen zum Opfer gefallen ist. Wir haben eine Leiche an der Griesheimer Staustufe gefunden, leider sehr entstellt. Das könnte sie sein.»
Sie hörte erschrockenes Einatmen. Eins der Mädchen murmelte: «Ach du Scheiße.»
Der Geschorene murmelte leise: «We are but falling leaves. »
Aksoy verabschiedete sich.
Winter war müde und deprimiert. Es schien ihm, als ob seit Gerds Abschied alles schiefging. An Eleni Serdaris hatte er sich den ganzen Nachmittag die Zähne ausgebissen – vergeblich. Sie blieb stur bei ihrer Geschichte, egal, wie sehr er ihr zusetzte. Es war auch klar, warum. Als Winter gegenüber der Serdaris behauptete – Finger auf der Pausetaste –, man habe ein Messer mit Resten von Opferblut und ihren DNA-Spuren gefunden, da sagte die Beschuldigte nach einer Schrecksekunde, sie glaube ihm das sowieso nicht. Die Kommissarin Aksoy sei am Morgen wegen eines Fotos bei ihr gewesen. Bei der Gelegenheit habe Aksoy ihr verraten, ‹das von gestern mit Nino› sei gelogen gewesen.
«Was von gestern?», fragte Winter, der in dem Moment tatsächlich nicht wusste, was die Frau meinte.
«Dass Nino behauptet hat, ich hätte das Mädchen umgebracht. Frau Aksoy sagt, das stimmt überhaupt nicht. Das hätten Sie bloß erfunden, damit ich rede.»
Winter traf der Schlag. Die Aksoy! Unglaublich! Er hatte es von Anfang an gewusst, mit so jemandem ließ sich nicht zusammenarbeiten.
Dank Aksoys Sabotage bekam er aus der Serdaris also nichts heraus. Und als reiche das nicht, wurde er vor dem Vernehmungsraum von Fock gestellt, der ihn wegen seines Alleingangs bei der Staatsanwaltschaft und dem Haftrichter vor mehreren Wachbeamten zusammenstauchte wie einen Schuljungen.
Winter fühlte sich schwer wie ein Sack Blei, als er um kurz nach halb sechs sein Büro betrat. Er wollte seine Jacke holen und dann nur noch nach Hause.
Im Büro brannte Licht. Im Drehsessel vor Gerds Schreibtisch saß die Aksoy, frisch, munter und bester Laune.
«Herr Winter, es gibt tausend Neuigkeiten!»
«Ach, tatsächlich?»
Es sollte sarkastisch klingen, aber seine Stimme war brüchig.
«Erstens, ich habe die ganzen Protokolle von der Anwohnerbefragung noch mal gelesen. Und dabei ist mir eingefallen, wo ich die Wolldecken gesehen habe. Das war bei dem Schriftsteller auf dem Hausboot. An den müssen wir also noch mal ran. Zweitens, die Kollegen aus Marl haben sich gemeldet. Sie können sich gut vorstellen, dass es sich bei Jeannette um die vermisste Jessica handelt. Ich habe mit einem Herrn Brandt gesprochen, der damals die Vermisstenmeldung bearbeitet hat. Er hat den Fall nie vergessen. Es gab Indizien, dass das Mädchen weggelaufen war, Aussagen von Freundinnen und dergleichen. Der Kollege wird einen genetischen Fingerabdruck bei der Mutter anleiern. Dann haben wir Gewissheit. Eine Jeannette Hunziker jedenfalls gibt es in Deutschland bei keiner Meldebehörde. Das ist auch eher ein Schweizer Name. So heißt sie in
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