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Staustufe (German Edition)

Staustufe (German Edition)

Titel: Staustufe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Reichenbach
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warf dabei noch einen Blick aufs Wasser. Man ahnte einen dunklen Fleck unten vor der Aussichtsplattform, wo sie gestanden hatten. Leises Plätschern mischte sich unter den Wind, das Rascheln abfallender Blätter und das ferne Rauschen der Autobahn.
    Als sie losgefahren waren, überlegte Sara kurz, ob sie nicht einen Notruf machen müsste. Aber dann dachte sie daran, dass Selim ihr gesagt hatte, mit der Bullerei wolle er absolut nichts zu tun haben. Es würde es sicher blöd finden, wenn sie jetzt mit diesem Vorschlag kam. Außerdem, ihrem Vater durfte das alles ebenfalls nicht zu Ohren kommen.
    Aus den Boxen des Wagens kam Türkrock. Aber von der coolen Sorte mit viel Rock und wenig Türk, minimalistisch arrangiert. Es war so laut, dass es eh besser war, nichts zu sagen.
    Durch die Begegnung mit Lenny war für Sara der Zauber des Abends gebrochen. Jetzt im Auto fühlte sie sich nicht mehr richtig wohl in ihrer Haut. Als sie auf die Höhe der Uniklinik kamen, stellte Selim die Musik leiser. «Weißt du, wovon das Lied eben gehandelt hat?»
    «Nein», sagte Sara und lachte unwillkürlich. «Natürlich nicht.»
    Er hörte sich so ernst an. Sie hätte nicht lachen sollen. Sie hatte das Gefühl, dass sie jetzt auf eine Art Probe gestellt wurde.
    «Der Künstler heißt Teoman», sagte Selim. Er pflegte Musiker immer Künstler zu nennen. «In dem Lied geht es darum, dass er Geburtstag hat und dass er jetzt genau so alt wird, wie sein Vater war, als er gestorben ist. Verstehst du?»
    «Ja», sagte Sara, obwohl sie sich nicht sicher war, was genau sie jetzt verstanden haben sollte.
    «Ich hab auch keinen Vater mehr», sagte Selim.
    Sara suchte vergeblich nach etwas Verständnisvollem und zugleich Tiefsinnigem, was sie sagen konnte.
    Schließlich legte sie einfach kurz ihre Hand auf Selims, die den Schaltknüppel hielt. Doof irgendwie. Aber was Besseres fiel ihr nicht ein.
    Nun fragte Selim in dem gleichen bedeutungsschwangeren Ton:
    «Sara, willst du heute Nacht bei mir bleiben?»
    «Ja», sagte sie.
    Was anderes konnte sie nicht sagen. Seine Frage war eine Art Liebeserklärung gewesen. Und darauf sagt man ja und nicht nein. Wenn man denjenigen liebt. Und das tat sie. Schrecklich sogar.
    Selim teilte sich die große Wohnung – die Sara zum ersten Mal betrat – mit einem Bruder und zwei Cousinen. Alle waren noch auf, als sie ankamen. Sara war das etwas zu viel. Alle waren älter als sie, alle verfielen immer wieder ins Türkische. Als die anderen endlich ins Bett gegangen waren, schliefen sie und Selim miteinander. Es tat weh und war auch sonst irgendwie nicht so, wie Sara sich das vorgestellt hatte.
    Sie war zwar total aufgeregt und glücklich, dass sie jetzt mit Selim zusammen war. Aber sie war trotzdem froh, die Wohnung am nächsten Morgen verlassen zu können und ganz normal in die Schule zu gehen. Sport allerdings schwänzte sie – sie hatte nämlich Schmerzen zwischen den Beinen, «weil ich bei Selim gepennt hab», wie sie Magdalena vielsagend wissen ließ.
    In der Englischstunde fiel ihr auf, dass Lenny fehlte. Das beunruhigte sie. Sie erkundigte sich bei seinem Sitznachbarn. «Der Lenny fährt heute auf irgendeinen Wettbewerb in Budapest», sagte er. «Der Glückliche.»
    Gut, dann war er wahrscheinlich weit weg, umso besser.
    Das dachte Sara, bis ihnen die Polizistin am Nachmittag die Fotos zeigte.

    Saras Vernehmung dauerte zwei Stunden. Zwischendurch rief Winter seine Frau an und erstattete Bericht. Fock hatte ihn im Videoraum allein gelassen, nachdem klar war, dass Sara zum Mainmädchenfall nichts Neues beisteuern konnte. Er gab Winter für den Rest des Tages frei.
    Als Sara das korrigierte Protokoll gelesen und abgezeichnet hatte, nahm Aksoy sich noch einmal Zeit zu einem abschließenden Gespräch. Ein solches «normenverdeutlichendes Gespräch» war für jugendliche Straftäter vorgesehen. Winter, der derweil ungeduldig im Videoraum hin und her ging, fand es zuerst übertrieben, das jetzt bei Sara anzuwenden. Aber eigentlich konnte er ganz froh sein, dass Aksoy ihm hier etwas abnahm. Korrekt und freundlich, wie immer. Das ganze Verhör über war sie schon höchst verständnisvoll gewesen, hatte kaum harte Rückfragen gestellt. Auch jetzt kam der typische Aksoy’sche Weichspülgang. Und er war sehr froh darüber.
    «Sara, ich möchte, dass du weißt, dass du nicht schuld bist an Lennys Tod. Dafür ist Lenny selbst verantwortlich. Aber du hast einen schweren Fehler gemacht. Du hättest auf jeden Fall 112

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