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Staustufe (German Edition)

Staustufe (German Edition)

Titel: Staustufe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Reichenbach
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oder 110 anrufen müssen.» (Ein fast geflüstertes «Ich weiß» von Sara.) «Niemand konnte von dir erwarten, dass du ins Wasser springst, um einen anderen zu retten. Man soll das auch nicht tun, wenn man nicht ein sehr guter Schwimmer ist. Aber einen Notruf abzusetzen ist nicht so schwer. Wenn man es in so einer Situation unterlässt, dann ist das unterlassene Hilfeleistung, und das ist zu Recht strafbar. Wann auch immer in deinem Leben du je wieder in eine Situation kommst, wo du einen Unfall beobachtest oder jemand auf der Straße zusammenbricht oder Rauch aus einer Wohnung kommt, lass dich von keinen Zweifeln abhalten und wähle sofort 112. Du kannst damit Leben retten. Hast du das verstanden?»
    «Ja.» Das kam aus tiefster Seele.
    «Okay. Ich rufe jetzt deine Mutter an, damit sie dich abholt.»
    Winter hörte nicht mehr, was Sara darauf sagte. Durch den Flur ging er hinüber, öffnete die Tür zum Vernehmungsraum.
    «Ich bringe Sara nach Hause», sagte er. «Komm, mein Hase. Ich weiß schon alles.»
    Er nahm sie in den Arm, als sie aufstand. Sie fühlte sich lasch und leblos an. Gestern Abend war es ihr noch deutlich bessergegangen.
    Den ganz harten Satz hatte ihr weder Aksoy noch Winter gesagt. Doch als sie zu Hause waren, tat es ihre Mutter: «Der Junge würde noch leben, wenn du Hilfe geholt hättest.»
    Carola sagte noch mehr. Wie Sara nur so gefühllos habe sein können, so gemein zu Lenny. Und dass Sara schon am Nachmittag Lennys Eltern hätte anrufen müssen, um sie zu unterrichten, dass ihr Sohn selbstmordgefährdet sei.
    Winter saß daneben, kommentierte nichts. Erst als Carola und er später allein im Schlafzimmer waren, sagte er: «Du warst etwas hart zu ihr.»
    Carola echauffierte sich mit Tränen in den Augen: Ob er denn glaube, dass ihr das leichtgefallen sei? Aber irgendjemand müsse Sara doch sagen, wie sich die Dinge verhielten! Ob ihm überhaupt klar sei, wie weit seine Tochter schon abgedriftet sei? Und er sei doch immer derjenige gewesen, der sich darüber aufregte, dass die Eltern krimineller Jugendlicher deren Verhalten entschuldigten, statt mit den Kindern Tacheles zu reden!
    Carola hatte mit jedem Wort recht, das sie sagte. Aber bei Winter blieb trotzdem ein schlechtes Gefühl zurück. Und er fürchtete, dass die Sache noch längst nicht ausgestanden war. Lennys Eltern konnten Zivilklage gegen Sara erheben. Dann würde Sara ihr erwachsenes Leben mit einem Sack voll Schulden beginnen. Dabei war der Hauptschuldige sicher dieser unselige Selim.

[zur Inhaltsübersicht]
    10
    Herr Stolze verließ Punkt zwei Uhr nachmittags in seiner Sportbekleidung das Haus, um zu joggen. Wie immer um diese Zeit. Und wie immer hängte Sabine Stolze danach den Berg Kleider, den ihr Mann auf dem Badezimmerboden hinterließ, ordentlich auf den stummen Diener. Dabei stellte sie erstaunt fest, dass Bert schon wieder seinen Schlüsselbund in der Hosentasche gelassen hatte. In all den Jahren war er nie ohne seinen Schlüssel aus dem Haus gegangen – und nun gleich zweimal binnen einer Woche. Was war bloß mit ihm los? Oder kam es ihr nur so vor, dass er diese Woche extrem fahrig, zerstreut und gereizt war?
    Sabine drehte und wendete den Schlüsselbund in der Hand. Es gab so vieles, was sie endlich einmal wissen wollte. Wie viel Geld der Familie eigentlich zur Verfügung stand, zum Beispiel. Sie hatte neulich bei ihrem gehetzten Blick in die Akten nicht auf die Zahlen gesehen. Bert rückte nicht raus damit, tat so, als seien die Gelddinge allein seine Angelegenheit, eine Angelegenheit, die obendrein schwer auf seinen Schultern laste. So als schütze er sie, indem er sie außen vor hielt. Sabine bekam monatlich ihre dreihundert Euro Haushaltsgeld, und wann immer sie nicht hinkam, wie eigentlich jeden Monat, hagelte es Vorwürfe, bevor er dann unter weiteren Vorhaltungen und Gejammer mit einem Zwanziger herausrückte. Die Krankenversicherung fresse alles auf, betonte er immer. Außerdem brüstete er sich damit, er habe auf ihren Namen eine hohe Lebensversicherung abgeschlossen. «Damit du versorgt bist», pflegte er flüsternd-geheimniskrämerisch zu sagen und sah dabei drein, als verberge sich hierin eine Andeutung, die sie nur zu dumm war zu verstehen.
    Warum nicht? Kurz entschlossen lief Sabine mit dem Schlüssel hinunter ins Erdgeschoss und schloss das Büro auf. Alles ging ganz fix, da sie nun genau wusste, wo sich der Schlüssel zum Aktenschrank verbarg. Etwas trieb sie, wieder nach dem ältesten Ordner zu

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