Steels Duell: Historischer Roman (German Edition)
kurzen Pause fuhr er fort: »Ich gebe zu, dass es töricht wäre, Lejeune hinrichten zu lassen. Er hat zu viele Freunde bei Hofe. Aber habt Ihr auch einmal an uns gedacht? Wie stehe ich denn nun da? Und Ihr? Ich bin Lejeunes Vorgesetzter, und Ihr regiert diese Stadt. Deshalb wird man uns der Flucht der Briten wegen zur Verantwortung ziehen. Und was wird dann aus uns? Wenn wir die Belagerung überleben, könnte Trouin sich beim König beschweren. Und wie sieht dann unser Schicksal aus? Und wie sollen wir überhaupt den Kampf um die Stadt überstehen? Unsere Geisel ist fort, und jetzt gibt es nichts mehr, was diesen Malbrook davon abhalten könnte, seinen Männern den Befehl zum Feuern zu geben. Ich sage Euch, diese Engländer kennen keine Skrupel, ich weiß das. Es ist ihnen einerlei, wenn auch Frauen und Kinder den Tod finden, solange sie die Stadt erobern können. Ich sage Euch, wir werden alle in Stücke gerissen von den Geschützen. Und alles nur wegen Lejeune.«
Plötzlich spürte der Gouverneur, dass ihm der Appetit vergangen war. Er runzelte die Stirn. »Die Dame könnte genauso gut noch irgendwo in der Stadt sein.«
»Redet Euch die Sache nicht schön, de la Motte. Sie ist inzwischen wieder im Lager der Briten. Unsere letzte Hoffnung – sie ist dahin! Ich hoffe, der Lieutenant ist jetzt zufrieden. Ich bin sogar froh, Gouverneur, dass ich ihn nicht hängen kann. Denn er wird bald die Schreie der Frauen und Kinder hören, wenn die britischen Geschütze das Feuer erneut eröffnen. Und spätestens dann wird ihm bewusst werden, dass er der Auslöser für all das Leid ist.«
De la Motte war ganz bleich geworden. »Glaubt Ihr denn wirklich, dass die Briten abermals das Feuer eröffnen werden?«
»Ohne Zweifel. Warum sollten sie es unterlassen? Sie haben doch nichts zu verlieren. Und sie haben kein Gewissen. Das ganze englische Volk ist durch und durch moralisch verdorben, glaubt mir.«
»Aber dann müssen wir kapitulieren, Major! Müssen die Tore öffnen. Selbst Trouin kann uns davon nicht abhalten.«
Malbec starrte ihn mit großen Augen an. »Kapitulieren? Vor den Engländern? Seid Ihr von Sinnen? Ich habe mich noch nie ergeben und werde es auch jetzt nicht tun, nur weil ein rangniedriger Offizier uns in diese missliche Lage gebracht hat. Nein, Gouverneur, wir werden nicht kapitulieren. Wir sitzen das aus. Wir schauen zu, wie die Menschen sterben. Und wenn die Engländer kommen, was nach dem Ende des Geschützfeuers zweifellos bald geschehen wird, so werden wir uns mit unseren letzten Männern um unsere Kanonen scharen und kämpfen. Denn die Briten müssen erst noch unsere Verteidigungsanlagen einnehmen. Dann haben wir sie. Wir reißen so viele wie möglich mit in die Hölle, de la Motte, das schwöre ich Euch.«
Er trat erneut ans Fenster und ließ den Blick über den Marktplatz schweifen, ehe er zu den Festungsmauern schaute. »Marshal Vauban wusste genau, was er tat. Jede Bastion gibt der anderen Feuerschutz. Es gibt keine Stelle an den Wehrmauern, die nicht gleichzeitig von mindestens vier Geschützen bestrichen werden kann. Wir haben genug Proviant, wie Ihr sehr wohl wisst, und frisches Wasser. Früher oder später gehen ihnen die Kanonenkugeln aus. Vielleicht sollten wir Trouin losschicken, damit er ihre Flotte in Angst und Schrecken versetzt. Ja, das wäre vielleicht eine Möglichkeit …«
Malbecs Bemerkung, »so viele wie möglich mit in die Hölle zu reißen«, löste in de la Motte Unwohlsein aus. An das Frühstück verschwendete er keinen Gedanken mehr. Unwirsch schob er den blanken Teller beiseite. »Und Ihr verlangt wirklich, dass ich ihn freilasse? Captain Trouin? Ihr wisst, dass er dann über Lejeune herfallen wird?«
»Nun, damit hätten wir dann ein Problem weniger. Ein Mann des Königs schafft uns einen anderen Günstling vom Hals. Wie vorteilhaft für uns! Obwohl ich es schade fände, wenn der Lieutenant nicht mehr die Schreie der Frauen und Kinder hört. Dennoch, die Gerechtigkeit wäre wiederhergestellt. Ja, wir müssen Trouin freilassen. Keine Frage. Außerdem sind wir auf seine Bande von Halsabschneidern angewiesen. Ihr wisst ja, de la Motte, wir brauchen bald jeden Mann. Dort draußen steht eine ganze Armee, an die sechzigtausend Mann, und wir können nur verhindern, dass sie die Stadt einnehmen, indem wir sie vom Erdboden hinwegfegen.« Er lächelte triumphierend. »Und das ist genau, was ich beabsichtige, mit Captain Trouins Hilfe.«
***
Steel hatte seinen Spaß, als er zusah,
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