Steels Duell: Historischer Roman (German Edition)
dreihundert Yards in dem pechschwarzen und stickigen Tunnel konnten die Grenadiere Lichtsplitter erkennen. Keiner sagte ein Wort. In die abgestandene Luft mischte sich wieder der Gestank des Abwasserkanals, sodass die meisten Männer sich inzwischen ihre Halstücher vors Gesicht gebunden hatten. In dem schwachen Schimmer voraus entdeckte Steel die Pforte. Sie war offenbar geschlossen, doch ein Lichtspalt deutete den Rahmen an. Steel betete, dass sie nicht abgeschlossen war. Im nächsten Augenblick hatte er sie erreicht. Die Männer waren gezwungen, vorerst im Tunnel zu verharren. Steel hörte Flüche und murrende Laute. Sie schwitzten alle wie die Tiere.
Steel drückte gegen die Tür, doch nichts bewegte sich. Er drückte erneut. Nichts. Verdammt, dachte er, die Franzosen hatten die Tür entdeckt und verriegelt, und jetzt saßen er und seine Männer in der Falle. Ein schrecklicher Gedanke durchzuckte ihn. Inzwischen war es gewiss schon halb fünf. Wenn jetzt die Flut käme … sie hätten keine Zeit mehr, noch rechtzeitig aus dem Tunnel zu kommen. Er fragte sich, wie hoch das Wasser steigen mochte. Der fest gestampfte Boden war zwar trocken, aber wie lange müssten sie hier ausharren? Und was, wenn die Franzosen die Tür zu dem stinkenden Loch aufmachten und sie alle wie die Ratten in der Röhre abknallten? Oder sie würden alle ersticken.
Denn wenn die Kanonen der Alliierten im Morgengrauen den Hauptangriff einleiteten, säßen Steel und seine Leute in der Falle und würden womöglich von den eigenen Kugeln zerfetzt. Er fragte sich, wie viel Zeit ihnen noch blieb. Wieder und wieder stemmte er sich gegen die Tür. Sie hatten schon wertvolle Zeit vergeudet; wie viele Minuten mochten verronnen sein? Zehn? Der Schweiß lief ihm über die Stirn. Er drehte sich zurück in die Dunkelheit. »Zwei Mann zu mir.«
Zwei Grenadiere krochen nach vorn und zwängten sich neben Steel, obwohl der Tunnel an dieser Stelle gerade für einen Mann breit genug war. Gemeinsam drückten sie gegen das massive Holz. Langsam gab die Tür nach und schwang Sekunden später auf. Licht filterte in den Eingang. Sie standen nun in dem breiteren Tunnel, durch dessen Spalten in der Decke der Schein von Pechfackeln hereinfiel. Erst jetzt sah Steel, was ihnen Schwierigkeiten bereitet hatte. Irgendjemand, vermutlich Fabritius und dessen Freunde, hatten drei bis zum Rand gefüllte Fässer vor die Schlupftür gerollt. Niemand, der zufällig die Nase in den Haupttunnel steckte, sollte Verdacht schöpfen. Die Täuschung hatte funktioniert, aber Steel fragte sich, ob den Flamen überhaupt bewusst war, wie schwer die Fässer waren. Den Schreck hätte er seinen Jungs gern erspart, aber wie dem auch sei, sie waren in der Festung.
Steel winkte Slaughter nach vorn und wandte sich an Williams. »Tom, folgt mir.«
Steels Plan sah vor, dass Hansam den Stoßtrupp in der Stadt leitete, während Steel sich mit einer Handvoll Männer – darunter Williams und Slaughter – auf die Suche nach Trouin und Lieutenant Lejeune machte. In Zweiergruppen verließen die Grenadiere das Schlupftor und strömten in den breiteren Gang, der direkt ins Herz der Zitadelle führte. Jetzt sollte der Spaß erst richtig beginnen, dachte Steel. Sie waren zwar in der Stadt, aber wie hielt man eine Kompanie Rotröcke in einer befestigten Stadt verborgen, in der es von Feinden nur so wimmelte?
Im selben Moment kam es zwanzig Yards voraus, oben auf einem der inneren Wehrgänge, zu einer gewaltigen Explosion. Steel sah, wie Erde, Backsteine und Steinbrocken mehrere Fuß in die Luft geschleudert wurden.
»Verdammt, Jacob!«, rief Steel. »Sind das schon unsere Geschütze? Die haben zu früh mit dem Beschuss begonnen. Jetzt sind wir geliefert.«
Der Sergeant war heilfroh, dem Tunnel entronnen zu sein, und setzte ein angriffslustiges Grinsen auf. »Zumindest brauchen wir uns jetzt nicht mehr zu verstecken, Sir.«
Oben auf den Wehrgängen war nun vielschrittiges Laufen zu hören; Soldaten besetzten die Schießscharten, Offiziere brüllten Befehle auf Französisch. Steel kehrte mit seinen Gedanken zu dem Auftrag zurück und wandte sich an Slaughter. »Sergeant, Ihr habt recht. Schlage vor, wir hören mit dieser Heimlichtuerei auf, was? Die Männer sollen ihre Granaten bereithalten. Und die Mützen wieder aufsetzen. Wenn wir schon sterben müssen, dann bitte mit Würde.«
Slaughter lächelte und brüllte den Befehl: »Mützen aufsetzen!«
Über ihnen hatte offenbar ein französischer Offizier
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