Steels Duell: Historischer Roman (German Edition)
formte ein »gute Nacht« mit den Lippen und wandte sich wieder dem Objekt seines Interesses zu, bei dem es sich um eine reifere Brünette mit Erfahrung zu handeln schien. Diese Dame behauptete nämlich, ihren Stammbaum bis auf Karl den Kühnen zurückführen zu können, und schien ihre Kühnheit auch unter Beweis stellen zu wollen. Williams bemühte sich, zu salutieren, merkte dabei aber nicht, dass er ein halb volles Glas in der Hand hielt, sodass er den teuren Wein auf der Uniform verschüttete. Derweil rief seine Gefährtin nach einer neuen Flasche.
Mathilde schaute auf zu Steel. Er suchte ihren Blick, nickte und reichte ihr die Hand, um ihr aufzuhelfen. Gemeinsam verließen sie den Raum, nahmen die wenigen unebenen Stufen zum nächsten Stock und betraten die bescheidene Schlafkammer. Steel entzündete die Kerze auf der Ankleidekommode und schloss die Tür, ehe er die Stiefel auszog und Strümpfe, Breeches, Weste und Hemd ablegte. Als er sich umdrehte, sah er, dass das Pariser Gewand über dem Stuhl lag – Mathilde räkelte sich unbekleidet auf dem Bett. Er verspürte nicht nur Verlangen, sondern auch Erleichterung, die ihn in diesem Augenblick durchströmte. In diesem Moment wichen aus seinem von Sorgen geplagten Geist sämtliche Gedanken an Soldatentum, Verantwortung, Beförderung und Prestige. Denn wieder einmal machte er sich bewusst, dass diese Nacht – wie so viele zuvor – seine letzte sein könnte.
***
Später, als das blasse Licht durch den Spalt unter der Tür in die Kammer fingerte, schlummerte Steel im Halbdunkel, bis er von Stimmen wach wurde, die gedämpft an seine Ohren drangen. Schläfrig richtete er sich im Bett auf und machte sich bewusst, dass die Stimmen durch den Kamin kamen: In dem Zimmer unter der Schlafkammer unterhielten sich mindestens zwei Personen. Steel kam der Sprecher nicht bekannt vor, aber dem Tonfall entnahm er, dass es sich um einen Offizier handeln musste.
»Und ich sage Euch, Sir, dass er sich irrt. Mir ist bewusst, dass Ihr das sehr wohl wisst. Und eins dürfte Euch auch klar sein: Wenn wir diesen Feldzug weiterhin in den Niederlanden vorantreiben und nicht in Spanien, wo zur Zeit Lord Peterborough, der Vater des jungen Mordaunt, mit der Hälfte der Armee vorrückt, sind wir verloren.«
Jetzt konnte Steel die Stimme jemandem zuordnen. Dort unten in dem Zimmer sprach niemand anders als Major Charles Frampton, der Adjutant aus Farquharsons Regiment. Vorsichtig löste Steel sich aus Mathildes Armen, stand auf und ging – nackt und zitternd vor Kälte – vor dem Kamin in die Hocke. Er presste sein Ohr an den Schlot und lauschte angestrengt. Frampton sprach eher schleppend und schien noch mehr getrunken zu haben als Fähnrich Williams. Der Major schien seinem Unmut Luft zu machen. Steel versuchte, aus dem allgemeinen Lärm der Zechenden und den schiefen Klängen der Musikanten die Worte herauszuhören.
Abweichende Ansichten waren in Marlboroughs Armee nicht selten. Jeder Offizier hatte eine eigene Meinung zum Feldzug. So war es in allen Armeen, doch Steel war nur allzu bewusst, dass innerhalb des Offiziersstabs die Ansicht vertreten wurde, der Krieg solle nicht in Flandern, sondern auf spanischem Boden geführt werden.
Hatte ein solches Ansinnen, den Herzog zu diskreditieren, Steel vor zwei Jahren nicht beinahe das Leben gekostet? Aber ein Mann wie Frampton? Es war unwahrscheinlich, dass er wirklich Schaden anrichten würde. Dennoch ärgerte es Steel, dass Offiziere, denen er in der Schlacht sein Leben anvertraute, sich gegenüber dem Kommandeur so illoyal benahmen. Insbesondere jetzt, nach einem so ruhmreichen Sieg. Marlborough wurde als Triumphator gefeiert, und Framptons wirre Wünsche waren gewiss nicht mehr als Tagträumereien eines hoffnungslos Verirrten.
Erneut überlagerte Framptons Stimme die allgemeine Unruhe im Raum. »Ich sage Euch, ein Bürgerkrieg in den Niederlanden könnte das Ende für Marlboroughs großartige Absichten bedeuten. Letzten Endes würde sich der Krieg insgesamt nach Spanien verlagern. Ihr und ich, wir würden davon profitieren und auf alte Freunde stoßen. Mylord Peterborough wäre genau der Kommandeur, den wir brauchen. Nicht diesen verdammten Churchill.«
Framptons verächtlicher Gebrauch von Marlboroughs Familienname brachte Steel zum Schmunzeln.
Nun war eine zweite Stimme zu hören. Jemand ermahnte den Major, den Mund zu halten. Diesen Sprecher kannte Steel nicht, obwohl es sich gewiss auch um einen Offizier handelte, der leicht zu
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