Steels Duell: Historischer Roman (German Edition)
verstanden?«
Stapleton, der blass geworden war, antwortete auffallend leise: »Ja, Sir, ich verstehe. Habt Dank, Colonel. Dürfte ich noch erfahren, wann ich aufbrechen soll?«
»Je früher, desto besser, Major. Seht Ihr das nicht auch so? Sagen wir morgen bei Sonnenaufgang, in Richtung Antwerpen? Lebt wohl.«
9.
Das kleine Mädchen drehte sich gedankenverloren eine Haarlocke um den Finger und stocherte mit seiner Gabel in dem blassen gesalzenen Hering herum, der vor ihm auf dem Teller lag. Dann wandte es sich an den hageren, fahl aussehenden Mann, der ihm gegenüber am Tisch saß und seine Bemühungen beim Essen geduldig betrachtete.
»Papa, die Briten werden doch nicht wirklich auf uns schießen, oder? Wir sind hier sicher, stimmt’s?«
Marius Brouwer lächelte seine Tochter an und nickte. Sie war erst fünf, begriff aber schon viel von dem, was im Haus besprochen wurde. Manchmal zu viel, wie er sich bewusst machte.
»Mach dir keine Sorgen, Mathilde. Die Briten würden uns das nie antun. Sie wissen zwar, dass bei uns in der Stadt viele Franzosen sind, auch Leute, die die Franzosen unterstützen, aber sie wissen auch, dass hier Leute wie du und ich wohnen. Gute Flamen, Frauen und Kinder, die sich wünschen, dass die Franzosen unser Land verlassen. Sie werden ihre Waffen nicht gegen uns einsetzen. Wenn sie angreifen, dann von der Landseite. Und wir warten dann in unseren Dachkammern und Kellern, bis der Kampf vorüber ist. Keine Sorge, meine Liebe, die Briten werden siegen. Du willst doch auch, dass die Franzosen nach Hause gehen, oder?«
Mathilde nickte und schaute ihren Vater an. Sein Lächeln zeigte ihr, dass sie die richtige Antwort gegeben hatte.
Marius beugte sich am Tisch vor und strich der Kleinen durchs Haar. »Gutes Mädchen. Du brauchst nicht weiter zu essen, wenn du nicht mehr magst. Geh ruhig spielen. Schau, wo deine Schwester ist. Sie wird im Hof unten sein. Geh nur.«
Mathilde sprang auf und hüpfte leise singend die paar Stufen in den kleinen Hof hinunter, um ihre Schwester und ihre Stoffpuppe zu suchen. In einem kleinen Beetstreifen wuchs Gemüse.
Marius’ Frau Berthe durchquerte die Küche des kleinen Hauses in der Christian Straat. Während sie das Geschirr ihrer Tochter abdeckte und die letzten Bissen dem alten Hund hinwarf, sagte sie mit gedämpfter Stimme: »Glaubst du wirklich, dass sie die Stadt nicht beschießen? Gestern Abend hast du mir etwas anderes erzählt.«
»Was ich dir erzähle, Liebste, unterscheidet sich eben oft von dem, was ich Mathilde erzähle. Das weißt du doch. Die Briten befinden sich im Krieg und werden tun, was sie tun müssen. Aber um die Wahrheit zu sagen, ich weiß auch nicht, was passieren wird. Ich kann nur wiedergeben, was ich von dem Spion erfahren habe. Er hatte Kontakt zu den Engländern, und sie sagen, dass sie nach einem Beschuss angreifen. Wir müssen also mit dem Schlimmsten rechnen. Er meint, wenn wir die Geschosse heranfliegen hören, sollen wir Schutz suchen, wie all die anderen Familien. Er ist davon überzeugt, dass sie von Land aus angreifen. Aber er hat eben auch gehört, dass die Schiffe klarmachen zum Gefecht.«
Berthe war bleich geworden und hielt beim Abwischen des Tisches inne. »Marius, ich habe Angst.«
Er stand auf, trat zu ihr und legte ihr eine tröstende Hand um die schmale Taille. »Ich weiß, mein Liebling. Aber glaub mir, ich vertraue den Briten. Ich gebe nichts auf die Lügen in diesen Schriften. Marlborough will uns helfen. Alles, was er tut, wird in unserem Interesse sein.«
In Wahrheit wünschte er, dass er seinen eigenen Worten Glauben schenken könnte. Er wollte nicht glauben, was in den Flugschriften stand, die seit Kurzem in der Stadt in Umlauf waren. Der britische General Marlborough hatte schon so viel dafür getan, dass die Franzosen das Land verließen. Daher zweifelte Marius nicht daran, dass dem Herzog die Interessen der Flamen am Herzen lagen. Aber wenn doch etwas an den Gerüchten war, dann war der Herzog auch nicht besser als jeder andere General oder Eroberer; womöglich erging es ihnen unter seiner Herrschaft – oder der niederländischen Regierung – sogar noch schlechter als unter der französischen. Aber diese Gedanken teilte Marius weder mit seiner Frau noch mit seiner Tochter. Diese Gedanken gehörten nur ihm und seinen Kameraden in der Volksbewegung. Er zog Berthe an sich und gab ihr einen langen Kuss, ehe er sich rasch von ihr löste.
»Sorg dafür, dass Mathilde und Anna im Haus bleiben. Und
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