Steels Duell: Historischer Roman (German Edition)
Sergeant, der bei der Tür stand und einen Arm um eine Dienstmagd geschlungen hatte; eine der filles du regiment, die vor mehr als einem Jahr mit der Besatzung der Garnison gekommen waren.
Von draußen, vor den verschlossenen Kasematten, drang das Kreischen der heransausenden Bomben in die Räume, unmittelbar gefolgt von den Detonationen. Die Mauern bebten bei jeder Explosion, Staub rieselte von der Decke. Die Luft unten im Fels war trotz der Körperausdünstungen und Tabakschwaden erstaunlich frisch. Marshal Vauban hatte in Ostende ein ausgeklügeltes Ventilationssystem einbauen lassen, sodass die Schutzsuchenden es mehrere Tage unter der Erde aushielten. Es gab auch Latrinen, diskret verborgen hinter Vorhangfassaden, sowie Lagerräume mit Nahrung und Wein. Ein Ziehbrunnen, der von außen nicht zu erreichen war, sorgte für das überlebenswichtige Wasser.
»Müller!«, rief Malbec seinen Sergeant an, »wie lange dauert das schon?«
»Eine halbe Stunde, Monsieur. Vielleicht länger.«
»Was glaubt Ihr, wie lange werden die noch feuern?«
»Das fragen sich alle, Monsieur. Ich denke, die meinen es ernst.«
Malbec lachte. Es klopfte an die Tür. Stimmen; erst die eines Mannes, dann die einer Frau. Flehende Stimmen. Der Sergeant und sein Mädchen lösten sich von der Tür. Die Soldaten in den Kasematten, die sich bislang während des Beschusses unterhalten hatten, verstummten. Malbec saß reglos da. An einem anderen Tisch, auf der gegenüberliegenden Seite des Raums, blickte ein Captain mit Missbehagen zur Tür.
»Major Malbec, bei allem Respekt, meint Ihr nicht, dass wir sie hereinlassen sollten? Sie werden in Stücke gerissen.« Lieutenant Lejeune war der stellvertretende Kommandant der Abteilung und erst kurz vor der Niederlage bei Ramillies zum Regiment gestoßen.
Malbec runzelte die Stirn und schüttelte den Kopf. »Mein lieber Lieutenant Lejeune, Ihr müsst noch viel über den Krieg lernen. Und über das Leben.«
Einige der Soldaten setzten die Gespräche fort.
»Wenn wir einen dieser Bauernlümmel reinlassen«, fuhr Malbec fort, »werden auch die anderen kommen. Wir können unmöglich die ganze Stadt hier unterbringen. Erst müssen wir uns selbst retten, damit wir kämpfen können, sobald das Sperrfeuer aufhört. Das ist die schlichte Wahrheit, Lieutenant. Und das sind meine Befehle. Abgesehen davon, was kümmert’s Euch? Das sind doch bloß Flamen.«
Der Lieutenant stand auf. »Bei allem Respekt, Monsieur. Das da draußen sind auch Menschen. Es ist … unmenschlich, wenn wir nichts tun. Wir müssen die Leute hereinlassen. Ihr müsst es erlauben.«
Eine ungesunde Röte überzog Malbecs sonnengebräuntes Gesicht. »Wir werden nichts dergleichen tun, Lieutenant. Und wenn Ihr Euch in dieser Angelegenheit noch einmal gegen mich stellt, bringe ich Euch wegen Insubordination vor das Kriegsgericht. Wie lange dient Ihr schon bei uns, Lejeune? Vier Monate?«
»Zwei, Monsieur.«
»Zwei Monate. Und wo habt Ihr davor gedient?«
»Im Regiment du Roi.«
»Und davor?«
»Da war ich Kadett in der königlichen Garde, Monsieur, bei Hofe.«
»Ihr wart also ein Höfling. Und davor? Ein Schuljunge. Und jetzt maßt Ihr Euch an, mir zu erzählen, wie ich einen Krieg zu führen habe? Habt Ihr eine Vorstellung davon, wie lange ich bereits unter der Fahne diene?«
»Nein, Monsieur.«
»Viel zu lange, Lejeune. Zu lange, um mich von einem Ammenzögling wie Euch belehren zu lassen. Nein, Lieutenant, ich möchte Euch warnen, mir Ratschläge zu erteilen! Ihr hättet in Bayern dabei sein sollen. Wie, Sergeant Müller? Erzählt ihm von Bayern, Sergeant.«
Müller, ein großer kahlköpfiger Mann aus dem Elsass, grinste. »Ja, das hättet Ihr sehen sollen, Monsieur. War ’ne schreckliche Sache. Aber wir mussten es tun. Gab keine andere Möglichkeit, um die Bayern gegen die Engländer aufzubringen. Denn sonst wären nur noch mehr gestorben, versteht Ihr? War’s nicht so, Major Malbec, Monsieur? Mussten es tun … so hat’s der Major befohlen.«
Doch dann, als Müller sich allzu lebhaft an die furchtbaren Schreie in dem bayerischen Dorf erinnerte – an die Schreie der Zivilisten, die sie mit den Bajonetten niedergemacht hatten –, unterbrach er sich und starrte zu Boden.
»Und deshalb müssen wir auch jetzt tun, was zu tun ist, Lieutenant«, betonte Malbec.
Die Männer des Majors, die während des Wortwechsels gespannt zugehört hatten, widmeten sich erneut ihren Aufgaben. Einer der Grenadiers Rouge begann eine Melodie
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