Steels Duell: Historischer Roman (German Edition)
anzustimmen.
Auprès de ma blonde
Qu’il fait bon, fait bon, fait bon,
Auprès de ma blonde,
qu’il fait bon dormir …
Das Lied erstarb dem Mann auf den Lippen, als draußen vor der Tür ein herzzerreißender Schrei zu hören war … dann Stille.
Malbec starrte zur Tür, von der nun ein leises Stöhnen in die Kasematten drang. Der Major versuchte, seine Sinne vor den Lauten zu verschließen. Er schloss die Augen und sah unvermittelt das Antlitz seiner Frau. Sie hörten eine weitere Bombe kommen; mit schrillem Pfeifen zerschnitt sie die Luft. Näher und näher kam das Kreischen, bis es praktisch über ihnen war. Instinktiv zogen die Männer die Köpfe ein. Sekunden später schlug das Geschoss mit gewaltigem Krachen wenige Schritte von dem Eingang der Kasematte ein. Erde rieselte von der Decke. Draußen waren abermals Schreie zu hören, als die Menschen versuchten, sich vor der nächsten schwarzen Kugel in Sicherheit zu bringen. Mit einem ohrenbetäubenden Knall zerriss die Explosion die Luft. Dann breitete sich beklemmende Stille aus. Von draußen drang kein Laut mehr an die Ohren der Männer in den Kasematten.
Doch es blieb nicht still. Das furchtbare Stöhnen setzte wieder ein, aber diesmal nicht nur aus einer Kehle, sondern aus unzähligen. Malbec öffnete die Augen und merkte mit Verzögerung, dass der Schweiß ihm vom Kopf lief.
Er warf einen Blick auf Lejeune. Der Lieutenant starrte zu ihm herüber. Malbec schaute wieder zur Tür. Und dann, für einen Moment, glaubte er, durch das Stöhnen dort draußen die hohe Stimme einer Frau zu hören.
»Rettet mich. Rettet meine Jungen. Rettet meine Kinder.«
Plötzlich geschah etwas Eigenartiges in Malbecs brodelndem, fiebrigem Hirn. Er sprang auf, stürzte zur Tür, stieß den stämmigen Sergeant zur Seite, schob den Riegel zurück und riss die Tür auf. Die Unterkante der Tür schabte über die Pflastersteine, die blutverschmiert und voller Körperfetzen waren. Malbec spähte in den Qualm des Nachmittags und hatte das Gefühl, in einen Ausschnitt der Hölle zu schauen.
Rauchschwaden zogen durch die Straße. Menschen – oder die Überbleibsel menschlicher Körper – lagen verdreht am Boden. Aus den Gebäuden zu beiden Seiten der Straße waren Steine geplatzt und lagen verstreut zwischen den Toten, verziert von den zerbrochenen, ehemals roten Dachziegeln, die zu Dutzenden vom Himmel geregnet waren. Wohin Malbec auch blickte, überall schien etwas zu brennen oder zu schwelen: Dachbalken, Fuhrwerke, Pferde … menschliche Gliedmaßen.
Ein Geräusch am Himmel ließ ihn aufschrecken. Er schaute hinauf und sah noch mehr Kugeln kommen. Sie zogen über den Himmel wie kleine, bösartige schwarze Kometen.
Mit einem Mal gewahrte er die Menschen, die sich langsam in seine Richtung schleppten. Menschen mit furchtbaren Verletzungen; sie waren entstellt, hatten Gliedmaßen verloren, besaßen nur noch eine Gesichtshälfte. Frauen trugen schlaffe Kinder im Arm. Andere Kinder jammerten leise in ihrer Orientierungslosigkeit. Sie hatten ihre Eltern verloren, waren selbst verletzt und blutverschmiert. Die Kleidung hing ihnen in Fetzen vom Leib, die nackte Haut darunter war versengt oder abgeplatzt.
In der Menge entdeckte Malbec zwei oder drei Männer, die mehr oder weniger unverletzt zu sein schienen und sich bemühten, den Verwundeten beizustehen. Der Major wusste selbst nicht, wie ihm geschah, als er sich plötzlich bückte und eins der Kinder – ein Mädchen von vielleicht acht Jahren – an sich zog. In dem Lärm der Explosionen hörte er nichts anderes, sah unweit des Eingangs eine Frau am Boden kauern, die ein Kind in den Armen wiegte, während ein anderes verzweifelt die Ärmchen nach ihr ausstreckte. Langsam drehte die Frau dem Major das Gesicht zu und formte mit den Lippen ein Wort, das Malbec als »Hilfe« interpretierte. Das kleine Mädchen noch im Arm, beugte er sich zu der Frau herab und half ihr auf die Füße. Wie durch ein Wunder war sie unverletzt geblieben, hatte indes einen Schock erlitten. Eins ihrer Kinder aber, der Junge in ihren Armen, war tot. Malbec konnte zwar keine Verletzung entdecken, vermutete jedoch, dass die Druckwelle das Kind getötet hatte.
Der Major drängte die Frau mit ihren Kindern zum Eingang der Kasematten, nahm das Mädchen mit hinein und schlug hinter sich die Tür zu. Im selben Moment schob Sergeant Müller den Riegel vor, als auch schon Dutzende Fäuste draußen gegen das Eichenholz hämmerten.
Malbec drehte sich um und sah,
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