Steels Duell: Historischer Roman (German Edition)
Belagerungsring – bestehend aus großen Vierundzwanzigpfündern – so nah wie möglich an das Marschland gezogen werden sollte. Die Entfernung war zwar noch beträchtlich, doch die Flugbahn war so berechnet, dass die Geschützmeister zuversichtlich waren, die Ladung über die Befestigungsmauern zu schießen. Östlich der Stadt hatte man niederländische Kanonen in Stellung gebracht, halb verborgen hinter Gabionen aus Weidenkörben.
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Wie Forbes es beschrieben hatte, trafen draußen auf dem Wasser die Artilleristen, die vom Festland herübergerudert wurden, die letzten Vorkehrungen für das Geschützfeuer. Die Mörser standen bereit, und die Zündschnüre der Munition waren so bemessen, dass die Granaten in die Stadt flogen und erst dann explodierten, wenn die Lunten sich bis ins Innere der Bombe gebrannt hatten.
Die Kriegsschiffe mit ihren vierzig und sechzig Geschützen aus Admiral Fairbornes Flottenverband waren möglichst nah an die Küste navigiert worden. An den offenen Stückpforten von zehn Schiffen warteten nun die Geschützmannschaften. Zwanzig Kanonen pro Schiff waren geladen: Zehn Breitseiten, und obwohl die Geschosse nicht so viel Schaden anrichten würden wie die Mörser der Bombarden – viele Kugeln würden ihr Ziel verfehlen –, sollte die Kombination aus großen und kleineren Kalibern die Schlagkraft erhöhen.
Steel ahnte, dass es Marlborough in diesem Augenblick vor allem darum ging, mit dem Kanonendonner Angst und Schrecken zu verbreiten. In der Hoffnung, dass die Leute von Ostende – oder zumindest die Garnison – kampflos die Tore öffneten, ohne viel Blut zu vergießen. Auch Steel betete, dass es so kommen möge und dass der Einzug in die Stadt ohne größere Konflikte ablaufen würde. Doch tief in seinem Innern wusste er, dass seine Gebete nicht erhört würden.
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Marius eilte durch die stillen Straßen nach Hause. Er mochte noch dreißig Yards von seiner Tür entfernt sein, als er den dumpfen Knall vernahm. Zuerst hielt er es für einen Donnerschlag in der Ferne und blieb instinktiv stehen. Denn dies war ohne Zweifel das tiefste Donnergrollen, das er je gehört hatte. Doch im selben Moment wusste Marius Brouwer, was dieses Krachen zu bedeuten hatte. Die letzten Meter bis zu seinem Haus und seiner Familie rannte er, als wäre der Teufel hinter ihm her.
Die ersten sechs Bomben wurden auf den Bombarden abgefeuert und flogen in einem Bogen, der zweihundert Fuß an Höhe erreichte, in Richtung Stadt: Beinahe ehrfürchtig beobachteten viele Bürger die Flugbahnen der Geschosse. Binnen Sekunden indes hatten die Menschen erkannt, was dort geschah. Frauen nahmen ihre Kleinkinder auf den Arm und rannten in ihre Häuser, anstatt in den Kellern, Blockhäusern und Kasematten Schutz zu suchen, wie sie es für den Ernstfall geübt hatten. Schon vor vielen Jahren hatte Vauban auf ein solches Szenario hingewiesen, sodass fortan jeden Monat eine Übung stattgefunden hatte. Aber selbst die beste Vorbereitung vermochte nicht die Panik zu verhindern, die nun ausbrach. Der große Marschall war selbst Zeuge der britischen Bombardierung von Le Havre im Jahre 1694 geworden und hatte mit ansehen müssen, wie die Menschen dort in Stücke gerissen worden waren. Ganze Straßenzüge hatten sich rot von Blut gefärbt, und auf dem Pflaster lagen die Toten und Verstümmelten. Damals hatte Vauban sich geschworen, dass sich ein solches Grauen nicht auf französischem Boden oder in einer französisch besetzten Stadt wiederholen sollte.
Aber die Schutzräume, die Vauban so sorgsam geplant hatte, reichten inzwischen nicht mehr für die schnell wachsende Bevölkerung einer blühenden Hafenstadt. In Ostende war kaum noch Platz für die Garnison gewesen, und da sich dort obendrein zwei Mannschaften Freibeuter tummelten, war abzusehen, dass Vaubans Bemühungen letzten Endes nicht ausreichten. Jetzt geschah das Undenkbare.
Die Stadtbewohner erkannten ihren Fehler und eilten schließlich zu den Kasematten, die sich unter der Bastion befanden, dreißig Fuß tief in das Gestein gehauen. Doch ehe irgendjemand die Eingänge erreichte, krachten bereits die großen Eisenkugeln in die Stadt. Die Erste landete auf dem Grote Markt , die Zündschnur prasselte noch. Die Kugel rollte über das Kopfsteinpflaster und blieb qualmend liegen. Die Menschen, die sich in diesem Augenblick auf dem Platz aufhielten, reagierten auf ganz unterschiedliche Weise. Drei Männer retteten sich in Seitengassen. Ein Bauernmädchen warf sich in ihrer
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